Neurophysiologische Entwicklungsförderung INPP

INPP Die neuro-physiologische Entwicklungsförderung - INPP wurde 1975 von Dr. Peter Blythe und Kollegen am Institute für Neuro-Physiological Psychology in Chester entwickelt.

Untersuchungen hatten zuvor gezeigt, dass bei 75 % aller Kinder mit Lernschwierigkeiten noch Restreaktionen frühkindlicher Reflexe bestehen, die die Weiterentwicklung aufhalten bzw. behindern.

Frühkindliche Reflexe sind in den Schwangerschaftsmonaten, teils auch während der Geburt, für das Überleben, bzw. die körperliche und geistige Weiterentwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung. Spätestens nach dem 1. Lebensjahr sollten diese Primärreflexe jedoch von höheren Hirnfunktionen gehemmt und kontrolliert werden.

Das INPP-Therapieprogramm hat das Ziel, durch spezifische, den natürlichen Reflexmustern nachempfundene Bewegungsübungen, im Gehirn verpasste oder blockierte Entwicklungsstufen nachzuholen. Wie ein Dominoeffekt kann diese ursachenspezifische Behandlung arzneimittelfrei und nicht invasiv im Bezug auf das Lernen und Verhalten beachtliche Entwicklungsschritte in Gang setzen.

Folgende Symptome können beispielsweise auf eine Unreife des Zentralnervensystems hindeuten:

Spezifische Lernprobleme

  • Lese-Rechtschreibschwäche
  • Dyskalkulie
  • ADHS/ ADS
  • mangelnde Konzentration und Ausdauer
  • Leistungsverweigerung
  • Schulangst


Motorische Probleme

  • unsicheres Gleichgewicht
  • mangelnde Körperspannung
  • Auge-Hand-Koordinationsprobleme
  • Schwächen in Grob- und Feinmotorik
  • motorische Ängste
  • Ungeschicklichkeit


Verhaltensprobleme

  • Ängste
  • Phobien und Tics
  • Regulations- und Steuerungsprobleme
  • Stimmungsschwankungen
  • soziale und Anpassungsprobleme


Mögliche Auswirkungen persistierender Reflexe auf die Entwicklung eines Kindes

Autorin: Gabriele Langen 6/2013 (Alle Rechte vorbehalten)


INHALTSVERZEICHNIS


Fallbeispiel Daniel - 6 Jahre


Fallbeispiel Mona - 10 Jahre


Erläuterung der Reflexe


EINLEITUNG


Nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen findet im ersten Schwanger-schaftsdrittel durch Zellteilung und spätere Spezialisierung der Zellen der Aufbau des Zentralen Nervensystems ZNS (Gehirn und Rückenmark) sowie aller Organe, der Muskeln und Blutbahnen des Embryos statt. Bereits ab der 9. Entwicklungswoche, das heißt neun Wochen nach der Zeugung, beginnen einzelne Organe ihre Funktion aufzunehmen. Darauf aufbauend laufen die sensorische und die motorische Entwicklung ab, die sich wechselseitig in ihrer Entwicklung vorantreiben. So beginnen nach und nach die synaptischen Verschaltungen der einzelnen Wahr-nehmungszentren: Die erste Wahrnehmung ist die taktile (bereits ab der 5. Entwicklungswoche), gefolgt von der vestibulären, der propriozeptorischen und der auditiven, während sich das visuelle System vorwiegend postnatal entwickelt, da es im Mutterleib bis auf Helligkeitsunterschiede keine Stimulation erfährt.

Die sensorischen Impulse werden über afferente Bahnen zum Gehirn und von dort aus über efferente Bahnen zu den motorischen Zentren als ausführende Orte weitergeleitet. Umgekehrt erhalten die Wahrnehmungszentren Rückmeldungen über die ausgeführten Bewegungen, wie zum Beispiel die damit verbundene Raum-Lage-Beziehung des winzigen Körpers. Zu diesem Zeitpunkt handelt es sich noch nicht um willkürliche Bewegungen. Vielmehr werden zunächst von der Hirnstammebene, dem entwicklungsgeschichtlich gesehen ältesten Teil des Zentralen Nervensystems, gesteuert, unwillkürliche Bewegungen der Extremitäten, so genannte Reflexe, in Abhängigkeit von der Kopfhaltung des Fötus ausgelöst. Diese werden dem Zeitpunkt ihrer Entstehung im Mutterleib entsprechend als intrauterine Reflexe bezeichnet.

Diese Reflexe erfüllen unterschiedliche Aufgaben:

  • Einige Reflexe dienen dem Schutz des Ungeborenen bzw. des Neugeborenen (Furcht-Lähmungsreflex als erster primitiver Rückzugsreflex, Moro-Reflex).
  • Weitere sorgen für den Aufbau eines Muskeltonus, der nachgeburtlich zur Bewältigung der Schwerkraft also für jegliche Art der Aufrichtung benötigt wird (Tonischer Labyrinthreflex vorwärts, Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex).
  • Manche sind beim Geburtsvorgang aktiv und ermöglichen dem Kind, sich durch den Geburtskanal herauszuwinden (Asymmetrisch Tonischer Nacken- reflex, Spinaler Galantreflex, Tonischer Labyrinthreflex rückwärts).
  • Andere Reflexe sind überlebenswichtig für die Zeit außerhalb des Mutterleibes (Such- und Saugreflex (sowie Palmar-, Plantar- und Schreitreflex als Relikte der Evolution )).


Alle Bewegungen des Fötus im Mutterleib, unabhängig davon, auf welche Weise sie ausgelöst werden, stimulieren das Gleichgewichtsorgan, das als zweite Sinneswahrnehmung bereits zwischen der 9. und 12 Entwicklungswoche Reaktionen des Fötus auf Bewegungsreize auslöst.

Durch ständige Wiederholungen der zunächst stereotyp ablaufenden Bewegungs-muster prägt das Gehirn sich diese ein. Im extrapyramedalen System werden sie dann abgespeichert, rutschen quasi "nach unten", so dass der Kortex, der entwicklungs-geschichtlich jüngste Teil des Gehirns, wieder frei ist für neue Lernanforderungen.

So wichtig Entstehung und Auslösung der intrauterinen Reflexe auch sind, ebenso wichtig ist deren Hemmung bzw. Integration durch die sich allmählich entwickelnde reifere Hirnfunktion bzw. Willkürmotorik. Persistieren die Primärreflexe, das heißt bestehen sie über ihre eigentliche Waltezeit hinaus, so blockieren sie u.a. die Ausreifung der Wahrnehmungsfunktionen, des Gleichgewichts sowie die motorische Entwicklung in Richtung Vertikalisation.

Beispielsweise kann ein nicht durch den Moro-Reflex weiterentwickelter Furcht-Lähmungsreflex, der bei Berührung des Fötus mit der Nabelschnur durch dessen Zurückweichen dafür sorgt, dass er sich nicht darin verfängt, bei Persistieren mit am Plötzlichen Kindstod beteiligt sein.

Und ein nicht zum physiologischen Zeitpunkt gehemmter Palmarreflex (= Hand-greifreflex) hat negative Auswirkungen auf Gleichgewichtsreaktionen sowie den Bewegungsablauf beim Krabbeln, da das Baby seine Handflächen durch den Reiz der Berührung mit dem Boden zur Faust schließt. Ebenso kann er die Ausbildung der Handgeschicklichkeit, den korrekten Stiftgriff und sogar die Artikulation beeinträchtigen.

Primitive, besser als primäre Reflexe zu bezeichnende Bewegungsmuster, gehen nicht völlig verloren. Vielmehr bleiben sie ein Leben lang latent auf Hirnstammebene für den "Notfall" vorhanden, um ggf. einzuspringen, falls höhere Funktionsebenen (z.B. in Stresssituationen oder nach Hirnverletzungen) versagen.

Kinder mit neurophysiologischer Unreife fallen auf, weil Ihre Verhaltensweisen und/ oder ihre schulischen Leistungen trotz eines in der Regel intakten sozialen Umfeldes und normaler oder sogar überdurchschnittlicher Intelligenz deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück bleiben. Oft zeigen alle möglichen Hilfsmaßnahmen zur Verbesserung ihres Verhaltens, ihrer Konzentrationsfähigkeit, ihrer Lese-, Schreib- und Rechtschreib-kompetenz und ihrer Rechenfähigkeit nicht den gewünschten Erfolg trotz größter Bemühungen von Seiten der Therapeutin bzw. der Nachhilfelehrerin und des betroffenen Kindes. Bei diesen Kindern reicht es offensichtlich nicht aus, an den Symptomen zu arbeiten, ohne die Ursachen für den Entwicklungsrückstand zu berücksichtigen.

Diese Kinder werden oft zu Unrecht ermahnt, beschimpft, gemieden und ausgegrenzt, weil sie so `schwer von Begriff``, so anstrengend oder unerzogen erscheinen. Die Suche der verzweifelten Eltern nach Hilfe dauert oft Jahre. Das sind wichtige und entscheidende Jahre, die für die Familien eine Zerreißprobe bedeuten können. Der (Leidens)Weg der Kinder verlängert sich dadurch und kann es beispielsweise die Wiederholung eines Schuljahres oder einen Schulwechsel kosten.

Im Folgenden begebe ich mich anhand einer detaillierten Elternbefragung und einer ausführlichen Befundung bei zwei Kindern auf die Suche nach persistierenden Reflexen, die eine normale neurophysiologische Entwicklung und damit verbunden möglicherweise eine altersgemäße Reifung der Persönlichkeit aufhalten, stören bzw. gar nicht erst zu Stande kommen lassen. Fallbeispiel : DANIEL

I. ANAMNESE



Zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung im August 2012 war Daniel 5 1/2 Jahre alt. In diesem Sommer 2013 soll er eingeschult werden. Darüber machten sich seine Eltern bereits ein Jahr zuvor Sorgen, da ihr Sohn sich nicht seinen Begabungen und seinem physiologischen Alter entsprechend entwickelt. Der herzliche, ehrliche Junge, der nach Angaben seiner Mutter "unglaublich sozial" ist, eckt oft an, weil er sehr laut und wuselig und damit auch extrem anstrengend ist. Extrem sind auch seine heftigen Wutausbrüche, die sich explosionsartig entladen, aber auch genauso schnell wieder vorbei sind. Vor einem halben Jahr etwa begann Daniel auch bei Aus-einandersetzungen mit seinen Schwestern zu schlagen, zu beißen und zu treten. Einerseits werden seine Fähigkeiten aufgrund seines auffälligen Verhaltens nicht erkannt und unterschätzt, andererseits wegen seiner Körpergröße überschätzt. Die Mutter beschreibt ihren Sohn als ""n allem extrem". So ist er den ganzen Tag pausenlos in Bewegung, nur beim Puzzeln kommt er etwas zur Ruhe. Fernsehgucken kann er von ihren drei Kindern am besten. Stillstehen kann er gar nicht. Bei aller Rastlosigkeit tagsüber schläft er aber abends im Nu ein. Erstaunlich ist auch, dass er bei aller Unruhe und Wuseligkeit manchmal kleine Details wahrnimmt, die sonst niemandem auffallen.

Daniel hat keinen Freund, er hat andere Interessen als Gleichaltrige. Er ist reich an Ideen, will aber immer entscheiden, was gespielt wird. Bei Gesellschaftsspielen ist er ein sehr schlechter Verlierer. Er beschäftigt sich häufig allein, ist aber auch gern mit Erwachsenen zusammen.

Daniel wurde als zweites von drei Kindern geboren. Seine beiden Schwestern waren zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung im August 2012 ein bzw. sieben Jahre alt. Die Schwangerschaft mit Daniel war die 4. Schwangerschaft der Mutter. Vor der Geburt ihrer ältesten Tochter hatte sie zwei Fehlgeburten. Übelkeit verspürte sie nicht zu Beginn der Schwangerschaft und als Vegetarierin achtete sie immer darauf, dass sie ihrem Körper durch die Einnahme von Folsäure ausreichend Eisen zuführte. Ab der 20. Schwangerschaftswoche sammelte sich Wasser in den Beinen der Mutter. Aufgrund einer kraniosakralen Fehlstellung im Rücken, litt sie, genau wie bereits während der vorigen Schwangerschaft, unter Ischiasschmerzen, die sie jedoch nicht medikamentös, sondern lediglich mit Hilfe eines Körnerkissens zu lindern suchte. In der 30. Woche wurde zur Kontrolle der Plazenta eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Emotionaler Stress trat um den 6. Schwangerschaftsmonat auf, als innerhalb von 6 Wochen zwei Großeltern des Ehepaars verstarben.

Daniel war bereits im Mutterleib ein sehr aktives Kind. Seine Füße und sogar die Knöchel seiner Finger waren durch die Bauchdecke sichtbar gewesen, berichtet seine Mutter. Und so hat er sich exakt zum errechneten Geburtstermin aus dem Bauch im wahrsten Sinne des Wortes "rausgestrampelt". Einmal hatte er dabei beispielsweise heftig gegen den Solarplexus der Mutter getreten. Eine viertel Stunde, nachdem das Fruchtwasser abgegangen war, kam Daniel nach insgesamt nicht einmal zwei Stunden als Hausgeburt zur Welt. Nach Schilderung seiner Mutter hatte nur die 2. Wehenphase stattgefunden. Die Nabelschnur, die locker um den Hals Ihres Sohnes gelegen hatte, hielt er in seiner Hand. Sein Kopf sah lang gezogen aus und der Junge hatte keinen Babyspeck. Der schlanke Körper des Neugeborenen war 55 cm lang. Das Geburts-gewicht betrug 3890 g und der Kopfumfang 35 cm. Sein APGAR-Wert wurde mit 10 eingetragen. Der Junge war hellwach und "krabbelte" zur Brust, um zu saugen. Mutter und Kind ging es gut, doch der Vater des Jungen litt während der darauf folgenden 6-7 Monate an einer Wochenbettdepression.

Daniel wurde 9 Monate lang voll gestillt, danach wurde langsam zugefüttert und mit einem Jahr abgestillt. Auffällig war, dass der Säugling immer sehr schnell trank und nur 7 bis 10 Minuten für eine Brust brauchte. Seine Mutter beschreibt ihn als "kuscheliges Kind". Bereits 14 Tage nach der Entbindung schlief er 6 Stunden am Stück durch. Das änderte sich allerdings, als ihr Sohn ein halbes Jahr alt war: Jede Nacht "brüllte" er ununterbrochen und ließ sich durch nichts beruhigen. Vom Kinderarzt erhielt die Mutter die Information, dass es sich um eine Phase handeln könne, die auch wieder vergeht. Vor lauter Verzweiflung testete sie mit Hilfe von Schmerzmittel für Säuglinge, ob ihr Kind unter Schmerzen litt. Doch Daniel schrie weiter. Ihr Mann konnte mit der Situation gar nicht umgehen und ließ Mutter und Kind mit diesem Problem allein. Eine Krankengymnastik stellte irgend etwas bei dem Jungen fest und riet zu einer Behandlung nach Vojta. Genauer kann sich die Mutter nicht mehr an die Diagnose erinnern. Jedenfalls ließ sie keine Therapie mit ihrem Sohn durchführen, sondern vertraute dem Arzt, dass keine besondere Ursache für das Schreien vorliege. Nach etwa 8 Wochen verliefen die Nächte dann endlich wieder ruhiger. Im Nachhinein stellte sich im Alter von 4 1/2 Jahren mit Hilfe eines Physiotherapeuten heraus, dass Daniel 2-3 "Knacks" in der Halswirbelsäule hatte und eine minimale Problematik im Beckenbereich.

Auf Nachfrage, wie das derzeitige Verhältnis zwischen Vater und Sohn sei, antwortete die Mutter "besser", aber sie wies darauf hin, dass ihr Mann sehr große Schwierig-keiten hat, mit Daniels Art umzugehen, da er sich ""elber in ihm sehe", denn er hatte als Kind ähnliche Probleme gehabt.

Daniels Mutter trug den Säugling oft im Tragetuch und so konnte er in aufrechter Position seinen Kopf von Anfang an halten. Als "ebenfalls früh" empfand seine Mutter den Zeitpunkt, zu dem ihr Sohn im Alter von 3 Monaten aus der Bauchlage mit aufgerichtetem Kopf in den Unterarmstütz ging. Später bewegte er sich von der Stelle, indem er seinen Körper rückwärts durch den Raum schob. Seine Mutter kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass ihr Sohn in Rückenlage mit seinen Füßen spielte. Gekrabbelt ist er kaum, was er allerdings im Alter von etwa 2 Jahren nachholte. Mit 6 Monaten stellte Daniel sich bereits hin und mit 10 Monaten konnte er - sogar am Sandstrand - frei laufen. Das freie Sitzen gelang ihm etwa einen Monat später. Der Sprachbeginn ließ auf sich warten. Erst im Alter von 14 oder 15 Monaten sprach er das Wort "Papa" als erstes Wort. Sich alleine anzuziehen fiel ihm nicht schwer, allerdings hat er eine komische Art, sein T-Shirt auszuziehen. Für das Zumachen von Knöpfen oder Reißverschlüssen hat Daniel "keine Zeit". Alle Impfungen vertrug er problemlos. Sie wurden nach Vollendung seines ersten Lebensjahres durchgeführt. Ebenso wie er im Alter von knapp 3 Jahren von heute auf morgen trocken war, trennte er sich im Folgejahr von seinem Schnuller. Selten konnte man beobachten, dass er die Kordel seiner Jacke in den Mund nahm.

Das Fahrradfahren lernte Daniel ausgesprochen früh, nämlich bereits mit 2 Jahren, laut Angaben seiner Mutter nach dreimaligem Üben. Schwimmen kann er seitdem er 5 Jahre alt ist, Tauchen klappte schon früher "mit Hundepaddeln".

Seine Ernährung ist abwechslungsreich. Beim Essen fällt auf, dass er viel kleckert. Am wenigsten gern würde er auf Süßigkeiten, genauer gesagt auf Haribo und Chips, verzichten.

Daniel hatte zwar früher ständig eine laufende Nase, ansonsten aber keine Infektionen im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich. Schnaufen kann er nicht gut beim Naseputzen.

Stillsitzen fällt dem Jungen sehr schwer, dagegen kann er sehr gut klettern. Höhenangst kennt er nicht. Außerdem hat er immer schon gern und ausgiebig geschaukelt nach dem Motto "je höher desto besser". Nur die Schaukel eigenständig in Bewegung zu bringen, ist ihm, bis er das 5. Lebensjahr erreichte, schwer gefallen. Noch heute fährt er gern Karussell. Seit Jahren möchte er jeden Abend von seinen Eltern durchgekitzelt werden, wobei er an Händen und Füßen nicht kitzelig ist. Spaß hat er auch am Fußballspielen, wobei er mit beiden Füßen gleich gut und fest schießen kann. Auch seine Händigkeit ist noch nicht ganz festgelegt, allerdings überwiegt der Gebrauch der linken Hand. Beim Ausmalen bleibt er nicht in den Linien. Teilweise ist er etwas ungeschickt , ein "Unglücksrabe". Zum Glück gab es bisher nur einen Sturz: Im Alter von 3 Jahren fiel er rückwärts in ein Fahrrad und zog sich dabei eine Platzwunde am Hinterkopf zu. Daniel ist sehr naturverbunden, spielt und hilft gern im Garten. Ein besonders ausgeprägtes Gefühl hat er für Tiere, mit denen er sehr liebevoll umgeht.

Im Sommer 2011, also im Alter von 4,6 Jahren, wurde er wegen einer Sprechflussstörung und einer multiplen Dyslalie in meiner logopädischen Praxis vorgestellt. Seit inzwischen einem Jahr ist Daniels Sprechfluss völlig stabil und die Sprachtherapie kann sich nun mit der Behandlung der phonologischen Störung befassen, denn die alveolaren Laute D/ T und N ersetzte Daniel durch die velaren Laute G/ K und NG. Das S bildete er interdental. Derzeit ist die logopädische Behandlung allerdings wegen "Erfolgsstillstands" unterbrochen. Innerhalb der Therapiestunden kommt es zwar zur korrekten Artikulation des S zu etwa 80 %, aber steigern lässt sich dieses Ergebnis seit mehreren Wochen nicht. Außerdem bleibt jeglicher Transfer des Ziellautes in die Spontansprache aus.

Vor einem Monat ist der Junge in einer Schuleingangsuntersuchung einer Ärztin vorgestellt worden, die seine Schulreife feststellte. Nach Beobachtungen der Mutter gab es dabei allerdings mehrere Situationen, in denen ihr Sohn Leistungen nicht zeigen konnte, die er eigentlich beherrscht. Sich sein Geburtsdatum zu merken, fiel ihm allerdings seltsamerweise immer schon schwer.



II. HINWEISE AUF EVENTUELLE STÖRUNGEN DER NEUROPHYSIOLOGISCHEN ENTWICKLUNG ANHAND DER ANAMNESE



1. Grobmotorische Koordination und Gleichgewicht

Die Beschreibung der Mutter, ihr Sohn " könne einfach nicht stillstehen, sondern sei sehr hibbelig und immer in Bewegung " gibt bereits deutliche Hinweise auf vestibuläre Probleme des Jungen. Denn das statische Gleichgewicht ist das Endprodukt einer ausgewogenen Zusammenarbeit von vestibulärer Funktion, Propriozeption und Sehen. Alle diesbezüglichen Informationen laufen auf Kleinhirnebene zusammen. Durch sein "pausenloses in Bewegung sein" regt Daniel instinktiv sein vestibuläres System an, als wisse er, dass sein Gleichgewichtssinn noch Übung braucht. Auch beim Stillsitzen funktioniert die Kontrolle über das statische Gleichgewicht nicht. Um seine Körperkontrolle zu bewahren, muss Daniel in Bewegung sein.

Dem zufolge ist bei Überprüfung der grobmotorischen Koordination und des Gleichgewichts zu erwarten, dass alle Stand- und Gangtests durch kompensatorische Strategien wie Ausgleichsbewegungen oder Versteifung der Gliedmaßen begleitet sein werden.

Eine Störung im Gleichgewichtssystem kann auch eine Erklärung für Daniels gestörte, nämlich hypovestibuläre Wahrnehmung sein, die er durch unersättliches hohes Schaukeln und Klettern in schwindelnden Höhen stimuliert.

Besonderes Augenmerk sollte bei der Diagnostik auch auf evtl. Gleichgewichts-probleme im Einbeinstand gelegt werden, denn sie stehen im Zusammenhang zu spezifischen Sprachentwicklungsstörungen.

2. Reflexe

Daniels plötzliche Wutausbrüche sprechen für einen persistierenden Moro-Reflex, die erste primitive Schreckreaktion, die durch plötzliche unerwartete Reize verschiedenster Art ausgelöst werden kann. Restreaktionen können Auswirkungen auf das gesamte emotionale Profil eines Kindes haben, z.B. zu emotionalen Überreaktionen führen. Auch die Tatsache, dass der Junge oft Details wahrnimmt, wobei ihm vermutlich die Erfassung der gesamten Situation nicht gelingt, sind moro-typisch. Dadurch kann es dann zu Missverständnissen und den oben geschilderten Wutausbrüchen kommen. Indem der Junge beim Spiel mit anderen Kindern immer bestimmen will, versucht er Situationen zu kontrollieren. Bei Gesellschaftsspielen gelingt eine Kontrolle natürlich nicht, deshalb ist Daniel dann ein schlechter Verlierer. Auch der Bedarf an Süßigkeiten passt ins Bild, denn Stress erhöht den Zuckerbedarf.

Der Moro-Reflex wird mit unterentwickelten Kopfstellreaktionen und infolge dessen mit Gleichgewichtsproblemen in Zusammenhang gebracht. Der durch wochenlange Ischiasschmerzen verursachte Stress und der starke emotionale Stress der Mutter im 6. Schwangerschaftsmonat (besonders zwischen der 25. und 27. Entwicklungswoche) bedeuten für das ungeborenen Kind eine Aktivierung des Moro-Reflexes. Nachgeburtlich handelt es sich häufig um unruhige und schnell erregbare Kinder. Der Zeitpunkt der Geburt wurde zwar von Daniel selbst "bestimmt", jedoch war der sehr schnelle Übergang vom Mutterleib auf die Welt zu kommen alles andere als schonend.

Nach den Angaben der Mutter bezüglich der noch nicht abgeschlossnen Seitigkeitsentwicklung ist davon auszugehen, dass der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex (ATNR) nicht zum physiologischen Zeitpunkt im Alter von 4 bis 6 Monaten gehemmt wurde (im Schlaf darf diese sogenannte Fechterstellung noch bis zum Alter von etwa 3 1/2 Jahren vorhanden sein). Vermutlich ist der ATNR ganz normal zwischen der 16. und 18. Schwangerschaftswoche entstanden und hat während der Schwangerschaft seine Aufgaben erfüllt, für die Entwicklung des Muskeltonus und vestibuläre Stimulation zu sorgen. Nach Beschreibung der Mutter ist der ATNR zum Zeitpunkt der Geburt vollständig vorhanden gewesen, denn Daniel hat sich (mit dessen Hilfe) "herausgestrampelt". Doch durch den sehr kurzen Geburtsprozess fehlte der Massageeffekt, den die Wehen normalerweise ausüben, wodurch der ATNR aktiviert und weiter verstärkt werden sollte.

Da er noch nicht zu seinem Höhepunkt gelangt ist, konnte er auch noch nicht gehemmt werden, was wiederum die kurze Krabbelphase des Jungen erklären kann. Beim Kriechen und Krabbeln sind infolge des persistierenden ATNR homolaterale Bewegungsmuster zu erwarten, denn eine Kopfdrehung zur vorderen Hand bewirkt eine Streckung der Gliedmaßen derselben Seite sowie eine Beugung der contralateralen Gliedmaßen. Unter diesen Umständen kann sich kein Kreuzmuster (rechter Arm und linkes Bein bzw. linker Arm und rechtes Bein) beim Kriechen und Krabbeln entwickeln. Spätestens beim Sitzen und Stehen hat ein nicht gehemmter ATNR auch starke Auswirkungen auf das Gleichgewicht. Auch das viele Kleckern beim Essen kann ein Hinweis auf Restaktivität eines ATNR sein.

In der Diagnostik sind auch Auffälligkeiten beim Amphibienreflex sowie beim Segmentären Rollreflex zu erwarten, da diese sich erst durch Integration des ATNR entwickeln können, um dann lebenslang vorhanden zu sein und eine gute Rotationsfähigkeit der Lendenwirbelsäule zu ermöglichen. Daniels Art sich statt zu krabbeln rückwärts schiebend durch den Raum zu bewegen, untermauern diesen Verdacht. Dieses homologe Bewegungsmuster erfordert lediglich Armbeteiligung. Auch das späte Sitzen weist auf mangelnde Beweglichkeit im Lendenwirbelbereich hin. Damit fehlten auch zum physiologischen Zeitpunkt Stützreaktionen, um sich beim Fallen abzufangen sowie die Herausbildung von Kopfstell- und Labyrinth-stellreflexen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Orientierung des Körpers im Raum, denn visuelle sowie auditive Stimuli kommen lediglich als ungenaue Botschaften auf Kortexebene an.

Beim Schreiben seines Namens und beim Malen wird Daniel wahrscheinlich den Drang verspüren, das Blatt schräg oder an den oberen Tischrand zu legen, um mit den Auswirkungen des ATNR fertig zu werden, der bewirkt, dass sich bei jeder Drehung des Kopfes zur schreibenden Hand der gleichseitige Arm strecken will. Da er das Blatt laut Testanweisung gerade liegen lassen muss, wird er evtl. eine schräge Sitzposition zum Blatt einnehmen, um auf diesem Weg mit den Auswirkungen des ATNR fertig zu werden. Auch ein verstärkter Druck auf den Stift wäre ein mögliches Anzeichen für ein unbewusstes Entgegenwirken gegen die Beeinträchtigung durch den ATNR. Mit Daniels artikulatorischen Schwierigkeiten und der Tatsache, dass er immer wieder in sein altes interdentales Sprechmuster zurückfällt, können sowohl der Palmar Reflex, der Rooting (oder Saug-) Reflex und insbesondere der Tonische Labyrinthreflex in Streckung (TLR-rückwärts) mit verantwortlich sein bzw. dem Therapieerfolg entgegenwirken. Denn in den ersten Lebensmonaten ist eine Kopfstreckung mit einem Zungenvorstoß verbunden. Zudem kann es zu verfälschten auditiven Botschaften kommen, wenn infolge eines persistierenden TLR die Kopfkontrolle mangelhaft ausgebildet ist, das Kind sich also nicht korrekt zur Schallquelle drehen kann. Auch auditive Wahrnehmungsprobleme können die Lautentwicklung bzw. den Verlauf der Sprachtherapie negativ beeinflussen.

Ein weiterer Hinweis der Mutter auf die Präsenz des TLR ist Daniels Unfähigkeit still zu stehen, Die Ursache dafür werden Gleichgewichtsprobleme u.a. durch die vom TLR ausgelösten Bewegungsmuster sein: Gestörtes Gleichgewicht infolge mangelnder Kopfkontrolle stört die visuelle Kontrolle, die bei Bewegung ein stabiles visuelles Bild garantiert. Da Augen und Gleichgewichtssystem vom selben Regelkreis im Gehirn gesteuert werden, folgt daraus wiederum ein Gleichgewichtsverlust (= vestibulo-okularer Reflexbogen), der mit großer Mühe und Muskelaktivität, sog. Ausgleichsbewegungen, kompensiert werden muss. Auch die Eigenschaft des Jungen, immer seinen Kopf durchsetzen zu wollen, wird dem MORO-Reflex zugeschrieben. Eine mögliche Bindungsstörung zum Vater kann ungünstige Verhaltensmuster noch verstärken.

Der verzögerte Sprachbeginn sowie die Schwierigkeiten im Bereich der Phonologie lassen auch vermuten, dass es zur Verzerrung akustischer Botschaften und zur verzögerten Verarbeitung von Sprache kommt, weil möglicherweise das linke Ohr dominant ist (dies hat eine schlechtere neuronale Verbindung zum Sprachzentrum in der linken Hemisphäre) oder sich noch gar keine Ohrpräferenz herausgebildet hat.

Auf ein Persistieren des Symmetrisch Tonischen Nackenreflex (STNR) deutet die Tatsache hin, dass Daniel mit bereits 10 Monaten (sogar am Sandstrand) laufen konnte. Wenn nämlich das Kriechen und Krabbeln im alternierenden Bewegungsmuster nicht funktionieren, weil der STNR noch nicht gehemmt, sondern weiterhin aktiv ist, dann werden bei Heben des Kopfes eine Streckung beider Arme und eine Beugung beider Beine sowie bei Senken des Kopfes eine Beugung beider Arme und eine Streckung beider Beine auslöst. Da sich auf diese Weise weder eine alternierende Kriech- noch Krabbelbewegung entwickeln kann und das Kind nicht von der Stelle kommt, beginnt es sich an Gegenständen bzw. Personen hochzuziehen und relativ früh zu laufen. Dies geht allerdings auf Kosten des Trainings der Auge-Hand-Koordination, das beim Krabbeln automatisch beim Blick auf die sich jeweils bewegende Hand stattfindet, und der Akkommodationsfähigkeit, dem von Nah- auf Ferneinstellung der Augen (nahe Hand - entfernter Gegenstand/ Person). Auch Daniels Ungeschicklichkeit, das Kleckern beim Essen, seine motorische Unruhe, sein hyperaktives Verhalten und die Tatsache, dass der Junge zunächst besser unter als über Wasser schwimmen konnte, sind typische Anzeichen für ein Persistieren des STNR.

Für motorische Unruhe könnte auch ein nicht gehemmter Spinaler Galantreflex mitverantwortlich sein. Die Greifreflexe Palmar- und Plantarreflex scheinen nicht mehr aktiv zu sein, denn Daniel ist beim abendlichen Durchkitzeln weder in den Handflächen noch an den Fußsohlen kitzelig.

Daniels Unvermögen, sein Geburtsdatum im Gedächtnis zu behalten, lässt die Vermutung zu, dass infolge des unterentwickelten Gleichgewichts Orientierungs-schwierigkeiten vorliegen könnten. Der Hinweis, Daniel sei ungeschickt und ein "Pechvogel" weisen auf unterentwickelte Halte- und Stellreaktionen hin. Dies wiederum hat Auswirkungen auf seine feinmotorische Koordination und die okulomotorische Funktion seiner Augen.

3. Augenmuskelfunktion Infolge der Beeinträchtigung des Gleichgewichts können sich auch die verschiedenen Haltungsreflexe, die sog. Labyrinthreflexe nicht richtig ausbilden. Der deutlichste Hinweis für die Labyrinthfunktion sind die Augenbewegungen, die sich nicht altersentsprechend entwickeln. Bei Störungen des Vestibularapparates erhalten die Augen ein permanent sich bewegendes oder sogar verschwommenes Bild. Durch das ständige Bemühen im Stehen wie im Sitzen das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, werden enorme Energien gebunden, die dann z.B. nicht mehr für intellektuelle Leistungen zur Verfügung stehen. Das Verfolgen von bewegten Gegenständen, das Fixieren, die Ausführung von Sakkaden (schwungvolle Bewegung der Augen von einem Fixationspunkt zum nächsten) und die später in der Schule notwendige Regression ( das Zurückwandern der Augen auf eine vorherige Textstelle) sind enorm erschwert. - Kein Wunder, dass Daniel abends müde ins Bett fällt und sofort einschläft!

4. Visuelle Wahrnehmungsfunktion

Im Tansley-Test sind aufgrund des persistierenden ATNR besonders Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung und Darstellung von Formen zu erwarten, bei denen die Körpermittellinie überschritten werden muss (Fahne).

Die Beobachtung der Mutter, dass ihr Sohn beim Ausmalen nicht in den Linien bleibt legt die Vermutung einer gestörten Auge-Hand-Koordination nahe. Diese Vermutung wird durch das Auslassen der Krabbelphase zum physiologischen Zeitpunkt ab etwa dem 9. Monat und das damit fehlende Auge-Hand-Training erhärtet.

Beim Mann-Zeichen-Test wird sich evtl. infolge der unausgeprägten Seitigkeit ein mangelhaftes Körperschema offenbaren. Auch Daniels unausgereifter Gleich-gewichtssinn wird sich darauf auswirken. Denn nur wenn man weiß, wo im Raum man sich befindet, welche Stellung der Kopf gerade in Bezug auf seine Umwelt hat und welchen Bezug die Stellung des Kopfes gegenüber dem Rest des Körpers hat, gewinnt das Gehirn eine klare Vorstellung vom Körper. Das durch die Unter-stimulation im Bereich der Körperwahrnehmung entstehende Defizit könnte eine Erklärung für Daniels "Hunger" nach taktilen Reizen wie Kuscheln und Kitzeln sein.

5. Sonstiges

Weil Daniel nach der Geburt hellwach war, wird ein Bonding zu seinen Eltern stattgefunden haben. Aufgrund der anschließenden Wochenbettdepression des Vaters wird dennoch eine Bindungsstörung zwischen Vater und Sohn vorliegen. Nach den Schilderungen der Mutter ist davon auszugehen.

Hinweise auf eine mögliche KISS-Problematik ergeben sich aus der Tatsache des sehr kurzen und heftigen Geburtsvorgangs, des "lang gezogenen Kopfes" nach der Geburt, des monatelangen Schreiens im Säuglingsalter, die ausgelassene Krabbelphase sowie das frühe Laufenlernen ( im Alter von 4 1/2 Jahren wurden ja schon einmal einige "Knacks" gefunden). Erfahrungen aus der manualtherapeutischen Praxis haben zudem gezeigt, dass es einen positiven Effekt auf die Sprachentwicklung durch die Beseitigung funktioneller Störungen der oberen Halswirbelsäule gibt. So könnte anders herum ausgedrückt eine evtl. Problematik im Bereich der HWS das (gesuchte) Hindernis für eine erfolgreiche Dyslalietherapie darstellen.



III. ERGEBNISSE DER DIAGNOSTIK



1. Grobmotorische Koordination und Gleichgewicht

Beim Aufrichten aus der Bauch- bzw. aus der Rückenlage zeigte Daniel leichte Schwierigkeiten, diese Aufgaben zu erfüllen. Er musste sein Gleichgewicht nach der Aufrichtung geringfügig mit Hilfe seines Oberkörpers und seiner Zunge ausbalancieren.

Bei Überprüfung des statischen Gleichgewichts kam es beim Rombergtest zu Schwierigkeiten, gleichermaßen bei Testdurchführung mit offenen wie geschlossenen Augen. Daniel presste seine Arme zur Stabilisierung an seinen Körper. Außer den Armen waren auch Augenpartie, Mund, Beine und Füße angespannt. An Kniescheiben und Zehen waren Ausgleichsbewegungen zu beobachten. Anschließend klagte der Junge über ein leichtes Schwindelgefühl. Beim Einbeinstand wurde spontan das linke Bein gewählt. Nach 6 Sekunden kam es zum Gleichgewichtsverlust trotz Ausgleichsversuche durch Arme und Oberkörper sowie Abwinkeln des rechten Unterschenkels. Mund und Hände waren angespannt und die Zehen des Standbeins an den Boden gekrallt.

Beim Hüpfen auf einem Bein wählte Daniel zuerst den rechten Fuß, also anders als beim Einbeinstand. Gleichgewichtsprobleme zeigten sich bei der Durchführung sowohl auf dem rechten als auch auf dem linken Fuß, aber auch deutlich beim Zehenspitzengang, beim Hopserlauf und der "Windmühle". Erneut waren deutliche Kompensationsbewegungen von Zehen, Fußgelenken, Knien, Oberkörper, Händen, Fingern, Kiefer, Mund, und Zunge zu beobachten. Bei Rückwärtsbewegungen blickte der Junge immer wieder auf seine Füße, um einen Gleichgewichtsverlust zu verhindern. Beim Zehenspitzengang wurde der Plantar Reflex an beiden Füßen ausgelöst. Daniels Füße waren dabei nach innen gedreht. Eine langsame Durchführung dieser Gangart war nicht möglich.

Beim Marschieren fielen unrhythmische Armbewegungen auf, während der Hopserlauf (besser gesagt das Herumhüpfen) völlig unrhythmisch und angespannt war. Es stellte sich heraus, dass das alternierende Bewegungsmuster weder beim Marschieren, noch beim Hopserlauf, beim Kriechen oder Krabbeln auf Händen und Knien zuverlässig vorhanden ist.

Erwartungsgemäß ist das Körperschema etwas unsicher. Zwar konnte Daniel alle 10 Körperteile richtig zeigen, jedoch waren seine Reaktionen etwas verzögert. Teilweise schien es, als ertaste er mit der Hand erst einen Ausgangspunkt, um von dort aus ans Ziel zu "rutschen". So berührte er zunächst das Knie, bevor er die Kniekehle zeigte, und die Schulter vor dem Nacken.

2. Reflexe

Sowohl ATNR, STNR, TLR, Moro-Reflex und Plantar-Reflex waren in verschiedener Qualität, aber deutlich auslösbar. Sehr auffällig war bei der Durchführung des Schilder-Tests, dass Daniel absolut nicht in der Lage war, seine Hände und Finger locker zu lassen, vielmehr klappte er lediglich seine Hände mit den steifen Fingern nach unten. Außerdem kam es nach wenigen Sekunden zum Tonusverlust der Arme (TLR-droop). Bei allen Tests, die im Stand durchgeführt wurden, setzte Daniel immer wieder die Füße auseinander, um eine breitere Basis für sein Gleichgewicht zu bekommen. Bei Überprüfung der Amphibien Reaktion in Bauchlage und bei der Segmentären Rollreaktion von den Schultern aus blieb das colaterale Bein jeweils gestreckt. Bei der Landau-Reaktion wurden die Füße ein paar Zentimeter vom Boden abgehoben.

Beim Transformierten Tonischen Nackenreflex, dem Spinalen Galant-Reflex auf der rechten Körperhälfte, dem Babinski-Reflex und dem Palmar-Reflex in der rechten Handfläche zeigten sich geringfügige Reaktionen.

Die Kopfstellreaktionen sind beeinträchtigt, wobei weder die Ergebnisse der Augen- noch der Labyrinthkopfstellreaktionen zu werten sind. Denn Daniel ist nicht in der Lage, einen Gegenstand länger als 3 Sekunden zu fixieren (siehe dazu auch Augenmuskelfunktionsprüfung). Bei Körperbewegungen zu den Seiten ist die Abweichung seines Kopfes von der vertikalen Position stärker als bei Bewegungen nach vorne oder hinten.

Die Seitigkeitsentwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Bei Füßen und Händen war gar keine Dominanz zu erkennen. Beim Hören dagegen wurde das rechte Ohr etwas bevorzugt. Eindeutig ist die Präferenz lediglich bei der visuellen Seitigkeitsentwicklung: Sowohl beim Nahsehen als auch beim Sehen in die Ferne ist das linke Auge dominant.

3. Augenmuskelfunktionen

Passend zu den ausgeprägten Gleichgewichtsproblemen des Jungen (besonders im Einbeinstand mit der schlechtesten Wertung!) hatte Daniel sehr große Schwierigkeiten, einen Gegenstand zu fixieren. Dies gelang ihm mit sichtbarer Anspannung nur 3 Sekunden lang. Dabei kniff er das rechte, also nicht dominante Auge meist zu, als würde dieses das entstandene Bild stören. Daraus ergibt sich der Verdacht, dass beide Augen nicht gut zusammenarbeiten und evtl. Doppelbilder entstehen, was die visuelle Wahrnehmung erheblich beeinträchtigen würde.

Während die meisten Tests zur Überprüfung der Augenmuskelmotorik aufgrund Daniels Unfähigkeit zu fixieren nicht durchführbar waren, schnitt er beim Nystagmustest mit dem Punktwert 0 ab. Dieses Testergebnis erinnert an die Aussage seiner Mutter, dass Daniel von ihren Kindern am besten Fernsehgucken kann. Scheinbar fällt es dem Jungen leichter, bewegte Bilder (mit seinen "bewegten Augen") zu verfolgen als stillstehende Bilder bzw. Gegenstände zu fixieren.

In einer weiteren Überprüfung zeigte sich, dasDanielik nur das rechte Auge zukneifen kann, nicht aber das dominante linke.

Die Pupillenreaktion auf Licht war eine zunächst gleichgroß bleibende Pupille, die dann verzögert etwas kleiner wurde. Beim rechten Auge trat diese Reaktion noch langsamer ein als links. Dieses Testergebnis unterstreicht, dass der Moro-Reflex noch aktiv ist und noch nicht durch die Erwachsenen-Schreckreaktion abgelöst worden ist.

4. Visuelle Wahrnehmungsfunktion



Bei der Überprüfung der Stimulusgebundenheit zeigt das Höchstmaß der Abweichung von der Idealdiagonalen auf dem ersten Bogen 2 mm, auf dem zweiten 7 mm und auf dem dritten 5 mm. Eine Bewertung kann demnach nicht vorgenommen werden, da die Diagonale auf Blatt 3 nicht exakter ist als auf den beiden ersten Blättern mit den Rechtecken zur visuellen Ablenkung.

Aussagekräftig ist allerdings die Tatsache, dass es Daniel beim Schreiben seines Namens auf allen drei Testbögen nicht gelingt, die gedachte Schreiblinie einzuhalten, sondern der Schriftzug immer weiter nach unten "gezogen wird". Außerdem war bei der Durchführung des Tests zu beobachten, dass Daniel nach rechts bis zum äußersten Rand der Sitzfläche rutschte, da er die Lage des Blattes nicht verändern durfte (er hätte sich also das Blatt gerne so gedreht, dass die Diagonale zur Vertikalen wird, und auf diese Weise intuitiv die Kreuzung der Mittellinie umgangen).

Im Tansley Standard visual Figures Test zeigte sich, auf welche Weise visuell empfangene Stimuli vom Gehirn interpretiert, also als was sie verstanden werden, aber auch wie Daniels Augen zusammenarbeiten:

Sucht man nach visuellen Unterscheidungsproblemen, so ist festzustellen, dass bei dreien von den sechs zu bewertenden Figuren deutliche Abweichungen vorliegen und bei einer leichte. Daraus ergibt sich bei der Bewertung ein Punktwert von 3.

Bei der Überprüfung der Auge-Hand-Koordination wird sichtbar, dass Daniel Schwierigkeiten hat, das Gesehene motorisch geschickt umzusetzen. Seine Linienführung ist oft unruhig und teilweise "schießen""Linien etwas über das Ziel, nämlich den Treffpunkt mit einer anderen Linie, hinaus. Einmal fragte er bei Zeichnung des Dreiecks nach einem Radiergummi. Bei der Flagge treffen sich die diagonalen Linien nach links von der Mittellinie abweichend, nämlich im linken unteren Quadranten. Beim Abzeichnen des Dreiecks hätte er gern ein weiteres Mal radiert, als er bemerkte, dass der linke Schenkel horizontal anstatt diagonal geworden war. Daniel erhält den Punktwert 3.

Bezüglich der räumlichen Wahrnehmung fällt auf, dass alle 8 Figuren nebeneinander in das obere Viertel gemalt wurden, würde man das Blatt gedanklich in 4 gleich große Querstreifen unterteilen. Keine der Figuren wurde von der Vorlage an die entsprechende Stelle des Testbogens übertragen, was einer Wertung von 3 entspricht, denn die Reihenfolge der Figuren wurde eingehalten. Während die ersten 4 Formen um etwa die Hälfte bis ein Drittel kleiner als die Originale ausfallen, entspricht die Größe der letzten 4 in etwa der Vorlage. Auch bei der Überprüfung der Stimulusgebundenheit zeigten sich Unsicherheiten in der räumlichen Orientierung: Beim Zeichnen der Diagonalen durch das kleinere Rechteck zog Daniel die Linie von der unteren rechten Ecke in die obere linke (allerdings sei berücksichtigt, dass er ein Vorschulkind ist und außerdem mit links malt!). Bei der Ausführung der übrigen Aufgaben sowie beim Schreiben seines Namens auf jedes Blatt hielt er die Schreibrichtung jedoch ein.

Beim Mann-Zeichen-Test zeichnete Daniel eine Figur mit Kopf, Rumpf, Armen und Beinen. Im Gesicht sind Augen, Nase und Mund vorhanden. Sowohl Arme als auch Beine sind mit dem Rumpf verbunden. An beiden Händen sind Finger angedeutet, die zweidimensional dargestellt sind. Alle Linien der Zeichnung sind einigermaßen sicher und zusammentreffend gemalt. Die Auswertung ergibt einen Punktwert von 11, was einem Mann-Zeichen-Alter von 5,3 Jahren entspricht. Das Testergebnis trifft die Aussage, dass zwischen Daniels chronologischem und mentalem Alter eine Diskrepanz von einem Jahr liegt. Es gilt als ein Maßstab für nonverbale Leistungen. Die Mann-Zeichnung verdeutlicht außerdem, dass noch keine ausreichend entwickelte Körperwahrnehmung vorhanden ist. Hier werden meine Vermutung aus Pkt. II 2 bestätigt und der Zusammenhang zwischen nicht abgeschlossener Seitigkeits-entwicklung, persistierendem Asymmetrisch Tonischen Nackenreflex und mangelndem Körperschema offensichtlich.

Bei der Erledigung der Schreib- und Zeichenaufgaben benutzte Daniel seine linke Hand. All diese Aktionen waren von großer Anspannung im ganzen Körper und extremen Kiefer-, Lippen- sowie Zungenbewegungen, sogar außerhalb des Mund-raumes, begleitet!

5. Sonstiges

Folgende Körperasymmetrien deuten be Daniel auf Blockaden der (Hals-)Wirbel-säule hin:
  • Unterschiedliche Schulterhöhe,
  • unterschiedliche Höhe der Schulterblätter,
  • unterschiedlicher Armabstände zum Rumpf sowie
  • unterschiedliche Neigungswinkel seiner Füße in Rückenlage.


IV. ZUSAMMENFASSUNG ALLER ERGEBNISSE



Bei Daniel habe ich im April 2013 im Alter von 6 Jahren eine mehrstündige diagnostische Überprüfung seiner neurophysiologischen Entwicklung vorgenommen, um festzustellen, ob bei ihm eine neurophysiologische Ausreifungsverzögerung vorliegen könnte, die folgende Probleme mit aufrecht erhält:

  • Motorische Unruhe/ Hyperaktivität
  • Wutausbrüche
  • Verzögerte Seitigkeitsentwicklung
  • Konzentrationsstörungen
  • Sprachstörung


Die Anamnese ergab einige Risikofaktoren bzw. Hinweise während der Schwangerschaft sowie peri- und postnatal die mit Ausreifungsstörungen des Zentralen Nervensystems in Zusammenhang stehen können:

  • Ischiasschmerzen der Mutter über mehrere SSWochen (Stress)
  • Emotionaler Stress um den 6. SSMonat
  • sehr kurzer Geburtsprozess von nur 2 Stunden, lang gezogener Kopf (KISS ?/ Stress)
  • Nabelschnur lag nach der Entbindung "locker um den Hals" des Säuglings (möglicherweise prä- bzw. perinatal kurzzeitiger Sauerstoffmangel ?)
  • Bindungsstörung zum Vater
  • Schreikind im Alter von 6 - 8 Monaten (KISS ?)
  • auffällige Fortbewegungsweise ( Daniel schob seinen Körper rückwärts durch den Raum)
  • Auslassen der Krabbelphase zum physiologischen Zeitpunkt
  • Frühes Laufen (mit 10 Monaten)
  • spätes Sitzen ( mit ca. 11 Monaten)
  • später Sprachbeginn / Sprachstörung


In den Tests zur Beurteilung der grobmotorischen Koordination und des Gleich-gewichts zeigte Daniel deutliche bis gravierende Gleichgewichtsprobleme im Stand bzw. nach Drehung (Romberg, Einbeinstand, Windmühle) und starke bis gravierende bei der Ausführung einiger Gangmuster (Zehenspitzengang, Hüpfen auf einem Bein, Hopserlauf), sowie extreme synergetische Muster ( Mitbewegungen anderer an der Bewegung eigentlich unbeteiligter Körperteile wie Mund, Zunge, Augenpartien, Arme, Hände, Oberkörper, Knie, Fußgelenke, Zehen))zum Ausbalancieren.

Bei der Überprüfung der motorischen Entwicklung wurde offensichtlich, dass das alternierende Kreuzmuster weder beim Kriechen noch beim Krabbeln auf Händen und Knien zuverlässig vorhanden ist. Diese Tatsache bestätigt die Beobachtungen von Marschiertest und Hopserlauf. Die cephalo-caudale Entwicklung ist bei Daniel noch nicht gelungen. Beim Kriechen zeigten sich homologe und homolaterale Bewegungsabläufe, das Krabbeln erfolgte versetzt alternierend.

Die Tests zur Überprüfung fortbestehender frühkindlicher Reflexaktivität ergaben in unterschiedlich starker Ausprägung Hinweise auf folgende persistierende primitive Reflexe:

Moro-Reflex Er kann in Zusammenhang gebracht werden mit Daniels Wutausbrüchen.

Asymmetrisch tonischer Nackenreflex (ATNR) Er kann mit beteiligt sein an seinen Problemen in der Auge-Hand-Koordination, seiner Feinmotorik, seiner unausgereiften Seitigkeitsentwicklung, der auffälligen Sitzposition, dem Kleckern beim Essen und seiner schlechten Augenmuskelmotorik (bei fließenden Augenfolgebewegungen, die das Überqueren der Körpermittellinie erfordern).

Tonischer Labyrinthreflex (TLR) Er gilt als beteiligt an Daniels Gleichgewichtsproblemen, denn eine Veränderung der Kopfstellung nach vorne und hinten zieht eine unwillkürliche Muskeltonus-veränderung des gesamten Körpers nach sich, die das Gleichgewichtszentrum irritiert. Dies macht seine verstärkten kompensatorischen Ausgleichsbewegungen erforderlich. Restreaktionen des TLR stören die Kopfstellreflexe, die sowohl für das Sitzen und Stehen als auch für die Steuerung der Augenbewegungen wichtig sind.

Symmetrisch tonischer Nackenreflex (STNR) Sein Persistieren hat dazu beigetragen, dass Daniel die Krabbelphase ausgelassen hat, sehr früh in den Stand gekommen ist und bereits mit 10 Monaten laufen konnte. Außerdem kann er in Zusammenhang mit den auffälligen Sitzpositionen des Jungen gebracht werden.

Durch die Vielzahl der persistierenden Reflexe muss Daniel im Wachzustand permanent gegen deren Auswirkungen "ankämpfen", die ihm über all seine Wahrnehmungskanäle und bei seinen Bewegungen "dazwischenfunken". Das kann eine mögliche Ursache für seine Hyperaktivität sein. Alle Wahrnehmungskanäle sind oft restlos (z.T. mit falschen Informationen) überladen, was auch auf Kosten von Daniels Konzentrationsfähigkeit geht.

Erwartungsgemäß zeigte sich, dass durch die bestehenden Restreaktionen frühkindlicher Reflexe bei Daniel, die Entwicklung von Halte- und Stellreaktionen beeinträchtigt ist, die sich normalerweise nach Hemmung der primären Reflexe innerhalb des ersten Lebensjahrs vollzieht. Sie sollten dann lebenslang für die Automatisierung der Haltungs- und Bewegungskontrolle zur Verfügung stehen. Bei Daniel waren die Augen- und Labyrinthkopfstellreaktionen sowohl nach vorne und hinten als auch zu beiden Seiten auffällig. Bei Veränderung der Rumpfposition gelang es ihm nicht, seinen Kopf zu vertikalisieren. Allerdings sind die Testergebnisse diesbezüglich unter Vorbehalt zu sehen, da der Junge fast gar nicht fixieren kann. Ebenfalls auffällig waren der Amphibienreflex in Bauchlage, der Segmentäre Rollreflex, der Babinski-Reflex, der Palmar-Reflex, der Plantar-Reflex sowie die Landau- Reaktion.

In den Tests zur Augenmuskelmotorik zeigten sich bereits in der grundlegenden Fähigkeit massive Schwierigkeiten: Daniel war nicht in der Lage, einen Punkt länger als 3 Sekunden zu fixieren. Dementsprechend waren darauf aufbauende Funktionen wie das Verfolgen eines bewegten Gegenstandes mit den Augen nicht möglich. Folglich sind in der Schule erhebliche Schwierigkeiten beim Schreiben, Abschreiben und Lesenlernen zu erwarten. Sehr auffällig war außerdem bei Prüfung der Pupillenreaktion auf Licht, die verlangsamte Reaktion insbesondere des rechten Auges (Hinweis auf Moro-Reflex).

Bei der Überprüfung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf visuelle Unterscheidungsfähigkeit, Augen-/Handkoordination und räumliche Wahrnehmung (Tansley Standard visual Figures Test) zeigten sich ebenfalls deutliche Entwicklungsrückstände.

Aufgrund auffälliger Anzeichen von Blockaden der Wirbelsäule und den zusätzlichen Hinweisen aus der Anamnese (kurzer Geburtsverlauf/ Schreikind als Säugling) wird Daniels Mutter Kontakt zu einem Osteopathen bzw. Manualtherapeuten aufnehmen, um ihren Sohn dort untersuchen zu lassen. Denn Blockaden der Wirbelsäule können Bewegungsmöglichkeiten einschränken und Haltungen vorgeben, die die Entwicklung einer Kopf- und Haltungskontrolle und damit auch des Gleichgewichts behindern.



Fallbeispiel : MONA



I. ANAMNESE



Monas Mutter kam zum Anamnesegespräch, da sie sich um das Verhalten ihrer Tochter sorgt. Deren Art sich verbal oder auch nonverbal auszudrücken, ist in hohem Maße unsozial und bringt ihr eine Menge Ärger ein. Manchmal wirkt sie abwesend beim Zuhören und oft "versteht sie Dinge anders". Wegen Kleinigkeiten regt sie sich heftig auf, weshalb andere Kinder sie sehr sonderbar finden. So sehr Mona im Zusammensein mit anderen überreagiert, so empfindlich ist sie andererseits, wenn es um ihr eigenes Wohlbefinden geht. Sie fühlt sich als der "Nabel der Welt" oder als die "Nummer 1". In Wirklichkeit aber findet sie schwer Kontakt und macht sich durch ihre Art selbst zum Außenseiter. Zunehmend steigert sie sich beispielsweise in panische Angst vor fliegenden Insekten hinein, was dazu führt, dass Mona selbst bei schönstem Wetter häufig vorzieht, in der Wohnung zu bleiben. Neuerdings kann sie auch das Aufzug fahren nicht mehr vertragen.

Auffallend ist auch, dass man ihr nicht zu nah kommen darf. Beim Kuscheln macht sie genaue Vorschriften, dass man sie von hinten umarmen darf, aber nicht zu nah. Eincremen ist allerdings erlaubt. Weitere "Marotten" sind das Hochziehen ihrer Socken "bis zum Kinn" und dass ihre Schuhe immer extrem fest gebunden sein müssen. Innerhalb der vergangenen 1-2 Jahre hat Mona Ticks entwickelt wie das häufige Zusammenkneifen ihrer Augen. Außerdem trägt sie zu Hause ihr Kuschelkissen ständig unter einen Arm geklemmt mit sich herum und will es nicht einmal bei Tätigkeiten wie Abräumen des Tisches zur Seite legen.

Gut findet die Mutter an ihre Tochter, dass sie sich nicht "die Butter vom Brot nehmen lässt", ihre unglaubliche Lebensenergie und dass sie sagt, was sie denkt.

Mona ist das jüngere von zwei Kindern. Zum Zeitpunkt des Anamnesegesprächs mit der Mutter war sie genau 10 Jahre alt und ihr Bruder 13. Die Schwangerschaft mit Mona stellte sich 3 Monate nach einer Ausschabung ein. Da die Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits 40 Jahren alt war, galt ihre Schwangerschaft als Risiko-schwangerschaft und wurde besonders gründlich überwacht. So wurde neben 3 Ultraschalluntersuchungen in der 12. Schwangerschaftswoche (also in der 10 Entwicklungswoche) eine Nackenfaltenmessung beim Fötus durchgeführt. Die Schwangerschaft verlief unauffällig. Stressig waren viele Situationen mit dem damals 3-jährigen Sohn, der sich nicht altersgemäß entwickelte und bei dem inzwischen das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde. Während der Schwangerschaft war die Familie zwar umgezogen, aber da sich die neue Wohnung innerhalb desselben Mietshauses befand, hatte die Mutter diesen Umzug nicht als Belastung empfunden.

10 Tage vor dem errechneten Geburtstermin kam Mona innerhalb von etwa 3 Stunden als Hausgeburt zur Welt. Bei einer Körperlänge von 51 cm und einem Kopfumfang von 34,5 cm betrug ihr Geburtsgewicht 3540 g. Während es der Neugeborenen gut ging und sie mit 10/10 die optimalen Apgar-Werte erhielt, benötigte Monas Mutter Intensivpflege. Für etwa 1 1/2 Stunden mussten Mutter und Kind voneinander getrennt werden. Diese Zeit verbrachte Mona bei ihrem Vater. Anschließend blieben Mutter und Tochter noch 3 Tage gemeinsam im Krankenhaus.

Zwischen dem 1. und 4. Monat bildete sich ausgeprägte Neugeborenenakne beim Säugling. Bis auf eine Pilzerkrankung unterhalb der Lippen im Alter von 6 Jahren hatte Mona keine weiteren Hautprobleme. Gestillt wurde sie 1 Jahr lang. Die Mutter bezeichnet ihre Tochter im ersten Lebensjahr als "pflegeleicht". Ihre sprachlichen sowie motorischen Fähigkeiten hätten sich altersgemäß entwickelt, mit 13 Monaten konnte sie laufen. Im 2. Lebenshalbjahr musste Mona wegen eines Pseudo-kruppanfalls ins Krankenhaus, da sie zu ersticken drohte. Seit dieser Zeit hat sie 1 mal pro Jahr bei dunstigem Wetter einen solchen Anfall, bei dem sich der Kehlkopf verkrampfe, denn, so ist der Mutter erklärt worden, der Hormonspiegel sinke zu sehr ab. Die spät möglichst in Anspruch genommenen Impftermine hat ihre Tochter problemlos vertragen. Ein bis zum heutigen Tag bestehendes Problem ist, dass Mona trotz ihres Alters noch gelegentlich ins Bett macht. Häufig kommt es zu Harnwegsinfekten. Um dem vorzubeugen, nimmt sie jeden Abend eine Tablette `Urotablin` ein.

Mona ist besonders ängstlich und schreckhaft. Sie geht nie im Dunkeln durch den Flur und lässt auch nachts in ihrem Zimmer eine kleine Lampe brennen. Sie hat Angst vor Fliegen und erschrickt sowohl durch Berührungen als auch durch Geräusche unangemessen stark. Sie reagiert dann völlig hysterisch, in dem sie laut schreit und oft auch wegrennt. Den Vormittag über ruft sie mehrmals zu Hause an, um ihrer Mutter mitzuteilen, dass sie gerade an der Bushaltestelle, im Bus bzw. in der Schule angekommen ist.

Nachdem das Mädchen 2 Jahre lang einen Regelkindergarten besucht hatte, meldeten ihre Eltern sie für das letzte Kindergartenjahr in einem Waldkindergarten an. Ein Grund dafür war der starre Zeitrahmen, nach dem die Kinder draußen spielen durften, der dem Bewegungsdrang des Mädchens nicht gerecht wurde. Ein weiterer Grund waren die rigiden und veralteten Methoden bezüglich der Sauberkeitserziehung, bei der sich Mona beispielsweise vor allen Kindern der Gruppe im Schlusskreis in eine Wasserpfütze auf ihrem Stuhl setzen musste. In diesem Kindergarten war ihre Tochter nicht als Kind, sondern nur als Problemfall wahrgenommen worden.

Unmittelbar nach ihrem 6. Geburtstag wurde Mona eingeschult. Dort hatte sie Schwierigkeiten, das Lesen zu erlernen. Beispielsweise verdrehte sie die Buchstaben p, b, d und q. Ziffern schrieb sie oft spiegelverkehrt und bei zweistelligen Zahlen vertauschte sie häufig die Ziffern. Fehler solcher Art unterlaufen ihr inzwischen so gut wie gar nicht mehr. Inzwischen besucht Mona die 5. Klasse einer Realschule. Im Rechnen ist sie gut bis auf Schwierigkeiten beim Erfassen von Mengen. Bis heute zeigen sich noch Probleme beim Ablesen der analogen Uhr und auch mit Wochentagen und Monaten findet sich die Schülerin nicht zurecht. Beim Fangen eines Balles hat sie zwar keine Schwierigkeiten, aber ihre Mutter meint, die Kraft sei dabei falsch dosiert. Das Kinderzimmer ihrer Tochter betitelt die Mutter mit `Müllhalde`.

Mona kann schlecht stillsitzen. Ihre Mutter beschreibt sie als "hibbelig". Auffällig ist ihre bevorzugte Sitzposition, bei der sie einen Fuß unter den Po schiebt. Ansonsten sind ihre Beine beim Sitzen ständig in Bewegung. Wenn man es ließe, würde das Mädchen seine Hausaufgaben auf dem Boden oder auf dem Bett liegend anfertigen. Beim Abschreiben aus dem Buch oder von der Tafel macht die Schülerin in der Regel keine Fehler, aber sie möchte im Unterricht immer weit vorne sitzen. Eine Kurzsichtigkeit wurde bereits ausgeschlossen. Unter jeder Klassenarbeit steht die Bemerkung, die Schülerin solle ordentlicher schreiben. Monas Ernährung ist vielseitig. Am wenigsten gern würde sie auf Milch und Süßigkeiten verzichten.

Im 1. Schuljahr wurde bei Mona ADHS diagnostiziert. Seit dem 3. Schuljahr erhält sie für den Vormittag 30 mg Ritalin, damit sie durch Hemmung der Ablenkbarkeit dem Unterricht besser folgen kann. Folgende Therapien hat sie bisher durchlaufen: Vom 5. bis zum 7. Lebensjahr besuchte sie wegen ihrer Konzentrationsstörung eine Ergo-therapie, bei einem Kinderpsychologen erhielt sie 20 x ADHS-Verhaltenstherapie, 6 x nahm sie an einer Gruppentherapie bei einer Psychologin teil und im Alter von 9 Jahren wurde Mona 3 Monate lang in einer Tagesklinik betreut und beschult. Vor allem der durch Bestreben der Tagesklinik veranlasste Klassen- und damit verbundene Lehrerwechsel innerhalb der Grundschule brachte dann endlich die erhoffte Ent-spannung der schulischen Situation für Mona und ihre Familie.

II. HINWEISE AUF EVENTUELLE STÖRUNGEN DER NEUROPHYSIOLOGISCHEN ENTWICKLUNG ANHAND DER ANAMNESE



1. Grobmotorische Koordination und Gleichgewicht

Die Tatsache, dass Mona Zahlen und Buchstaben verdrehte bzw. beim Lesenlernen ähnliche Grapheme verwechselte, deutet darauf hin, dass ihre Orientierung im Raum beeinträchtigt war, was eine Auswirkung eines unterentwickelten Gleichgewichtsinns ist. Auch die bis heute noch bestehenden Probleme beim Lesen der analogen Uhr, die Schwierigkeiten mit den Wochentagen und Monaten sprechen dafür. Die motorische Unruhe des Mädchens, die die Mutter als `hibbelig` bezeichnet, ist ebenfalls ein möglicher Hinweis auf Probleme in diesem Bereich. Monas Abneigung gegen das Fahren mit einem Aufzug weisen auf eine hypervestibuläre Wahrnehmung hin.

2. Reflexe

Vermutlich werden sich bei Überprüfung des neurophysiologischen Entwicklungs-standes der Schülerin Restreaktionen des Furchtlähmungsreflex (FLR) /Moro-Reflex, Tonischen Labyrinthreflex (TLR), Asymmetrisch Tonischen Nackenreflex (ATNR) und des Symmetrisch Tonischen Nackenreflex (STNR) zeigen, denn diese sind alle mit der Funktionsweise des Gleichgewichtorgans verbunden und werden auch mit Lernstörungen und Angstzuständen in Zusammenhang gebracht. Durch die sehr kurze Geburt hatten die am Geburtsvorgang aktiv beteiligten Reflexe ( TLR rückwärts, ATNR und Spinaler Galantreflex) kaum Gelegenheit, auszureifen, um später gehemmt und durch reifere Bewegungsmuster abgelöst zu werden.

Nach Angaben der Mutter zeigt ihre Tochter häufig Angst- und Schreckreaktionen. Monas Angst vor Dunkelheit und Insekten ist nicht altersgemäß. Sie fühlt sich verfolgt und bedroht, ein Verhalten, das auf Hirnstammebene abläuft, also keinesfalls Kortex-gesteuert ist. Es weist nicht nur auf Restreaktionen des Moro-Reflexes hin, sondern zeigt auch Merkmale des Furcht-Lähmungsreflexes. Mona will alle Situationen kontrollieren und ruft ihre Mutter häufig von unterwegs an. Auch bei Verabredungen will sie bestimmen, um die Kontrolle über die Situation nicht zu verlieren. Die Angst vor einer Fahrt mit dem Aufzug sowie vor umher fliegenden Insekten sprechen für einen vestibulär bzw. visuell ausgelösten Moro-Reflex. Taktile Reize (wie das Kuscheln) möchte Mona kontrollieren, da sie ihr sonst unangenehm sind. Auch gegenüber akustischen Stimuli wird ihre Hypersensitivität deutlich. Besonders in der Schule ist das Mädchen für ihre Überreaktionen bekannt. Vorne sitzend sind zumindest die visuellen Reize reduziert. Dennoch wird der Moro-Reflex immer wieder über einen der vier möglichen Sinneskanäle (vestibulär, visuell, taktil und auditiv) ausgelöst, denn die eintreffenden sensorischen Stimuli werden vom Gehirn nicht angemessen gefiltert und verarbeitet, wodurch Monas sympathisches Nervensystem (beim FLR das parasympathische Nervensystem) allzu oft in Alarmbereitschaft versetzt wird. Die so verursachte Schwächung des Immunsystems durch die vermehrte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol ins Blut könnte mit ein Grund für die häufigen Harnwegsinfekte und die Pseudokruppanfälle sein.

Ist der Tonische Labyrinthreflex (TLR) auch im Alter von mehr als 3 1/2 Jahren aktiv, kann sich die Kopfkontrolle nicht ausreichend entwickeln. Das wiederum stört die Einstellung des Gleichgewichts und damit eines stabilen visuellen Bildes (vestibulo-okularer Reflexbogen). Das erfordert höchste kompensatorische An-strengung der Schülerin z.B. beim Abschreiben von der Tafel. Hinzu kommt, dass sich Kinder mit mangelnder Kopfkontrolle nicht genau zur Schallquelle drehen können. Dadurch bedingt kann es zur Verzerrung auditiver Botschaften kommen, eine mögliche Mitursache für Monas ängstliches und schreckhaftes Verhalten gegenüber Geräuschen. Auch die typischen ADHS-Symptome wie scheinbar schlechtes Zuhören, Mühe bei längerer geistiger Anstrengung, mangelnde Ausdauerfähigkeit, Unordnung und erhöhte Ablenkbarkeit werden mit einem persistierenden TLR in Verbindung gebracht.

Das Vertauschen von Ziffern und Verdrehen von Buchstaben sprechen für eine gestörte Raumwahrnehmung, die sich erst mit Hemmung des Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex (ATNR) zum physiologischen Zeitpunkt zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat entwickeln kann. Eine andere Folge können Auswirkungen auf die motorische Koordination sein, die beim Kriechen, Krabbeln und Gehen/Marschieren homolaterale Bewegungsmuster erwarten lassen. Auch Monas ungewöhnliche Sitzpositionen kann ein Hinweis auf eine Prävalenz des ATNR sein.

Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex (STNR) kann ebenso wie der ATNR Ursache für auffällige Sitzpositionen sein, wenn das Kind intuitiv dagegen ankämpft, dass beim Lesen oder Schreiben durch Senken des Kopfes zum Buch oder Heft eine Beugung der Arme und eine Streckung der Beine ausgelöst wird. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass Mona intuitiv ihre Hausaufgaben am liebsten in liegender Position erledigen würde.

Ihre Schwierigkeiten über längere Zeit still zu sitzen sowie ihre schlechte Blasenkontrolle können Anzeichen für einen noch beidseitig auslösbaren Spinalen Galantreflex sein.

3. Augenmuskelfunktionen

Vermutlich werden Monas Augenbewegungen infolge der Gleichgewichtsprobleme auffällig sein (vestibulo - okularer Reflexbogen). Außerdem könnten sich durch das Persistieren des ATNR Sprünge bei horizontalen Folgebewegungen der Augen über die Körpermittellinie zeigen. Restaktivitäten des STNR dagegen zeigen sich in Form von Schwierigkeiten bei vertikalen Augefolgebewegungen.

4. Visuelle Wahrnehmungsfunktion

Die aus der Anamnese bekannten Schwierigkeiten der Schülerin mit Graphemen wie b, d, p und q, die sich lediglich durch ihre Richtung unterscheiden, lassen in der Diagnostik deutliche visuelle Diskriminierungsprobleme erwarten. Denn das Richtungsbewusstsein ist eine vestibuläre Fähigkeit, die es uns ermöglicht, einen festen Ausgangspunkt, "eine innere Mitte" zu haben, von der aus alle weitere Orientierung in Bezug gesetzt wird.

5. Sonstiges

Monas Körperwahrnehmung wird vermutlich infolge des sehr kurzen Geburts-prozesses nicht angemessen ausgeprägt sein. Hinweise dafür sind ihre hypertaktile Wahrnehmung, die z.T. Schreckreaktionen auslösen, den Eltern keinen normalen Körperkontakt zu ihrer Tochter ermöglichen und für die "Marotten" der sehr hoch gezogenen Socken und den extrem fest gebundenen Schuhen verantwortlich sein können.

Möglicherweise zeigen sich an Monas Handschrift Auswirkungen eines persistierenden ATNR (Schwierigkeiten bei Buchstaben, bei denen die Körpermittellinie überschritten werden muss) oder gedachte Schreiblinie verläuft nicht horizontal sondern "wird" in die rechte untere Blattecke "gezogen").

Interessant wird auch sein, zu beobachten, inwiefern sich die Seitigkeitsentwicklung trotz zu erwartender Restreaktionen des ATNR vollziehen konnte.

Obwohl sich anamnestisch trotz des Hinweises auf einen sehr kurzen Geburtsprozess keine typischen Symptome eines KISS-Syndroms (kopfgelenk induzierte Symmetriestörung) finden lassen (weder Stillprobleme noch Dreimonatskoliken), sollte mein Augenmerk auf mögliche Blockaden insbesondere im Lenden-wirbelbereich gerichtet sein. Diese könnten an der mangelnden Blasenkontrolle beteiligt sein.

III. ERGEBNISSE DER DIAGNOSTIK



1. Grobmotorische Koordination und Gleichgewicht

Das Aufrichten aus der Bauch- bzw. Rückenlage mit flüssigem Bewegungsablauf bereitete Mona keine nennenswerten Schwierigkeiten. Mit ähnlichem Ergebnis verlief die Überprüfung des statischen Gleichgewichts beim Rombergtest, Mann-Test und im Einbeinstand. Lediglich beim Mann-Test mit geschlossenen Augen zeigten sich mittelgradige Gleichgewichtsprobleme, die Mona mit Bewegungen ihrer Arme, Fußgelenke und Zehen auszubalancieren versuchte. Bei allen Übungen, die mit geschlossenen Augen durchzuführen waren, hatte sie das Gefühl, nach links zu schwanken bzw. in diese Richtung umzufallen, was mir als Beobachter nicht offensichtlich war.

Deutlicher wurden die Auffälligkeiten bei den Tests zum dynamischen Gleichgewicht. Sowohl beim Gehen auf Zehenspitzen, beim Fog walk und beim Slalom Gang war jeweils bei der Vorwärtsbewegung eine Tonuserhöhung in Beinen und Zehen bzw. in den Händen zu beobachten. Bei der sich jeweils anschließenden Testung in Rückwärtsbewegung verstärkten sich diese Auffälligkeiten noch und wurden zusätzlich von Ausgleichsbewegungen des Oberkörpers und der Arme begleitet. Während der Tandem Gang sowohl vorwärts als auch rückwärts mühelos gelang, bereiteten das Hüpfen auf einem Bein und das Stillstehen nach der "Windmühle" geringe Probleme. Beim Fersengang mit hochgezogenen Knien fiel es Mona sichtlich schwer, ihr Gleichgewicht zu halten.

Bei allen Bewegungen, die die Koordination beider Körperhälften im alternierenden Kreuzmuster erfordern, wurde eine deutliche Dysfunktion offensichtlich. Sowohl beim Marschieren und Umdrehen, beim Hopserlauf sowie beim Krabbeln auf Händen und Knien zeigte Mona fast ausschließlich homolaterale Bewegungsabläufe. Beim Kriechen auf dem Bauch bewegte sie sich sogar im homologen Muster vorwärts.

Kleinhirnfunktionen

Lediglich bei der Zeigefinger-Annäherung traten gravierende Schwierigkeiten auf. Mona hatte Schwierigkeiten, mit ihren Armen einen Bogen zu bilden (evtl. Hinweis auf ATNR und/ oder Blockade in den Schulter- bzw. Ellenbogengelenken/ Gesetz der proximodistalen Entwicklung). Bei wiederholter Ausführung wurden ihre Arme schwer und sackten ab (möglicher Hinweis auf TLR vorwärts). Angestrengt verfolgte sie ihre Fingerspitzen bis sie sich in der Mitte trafen, was ihr mit geschlossenen Augen dann nicht mehr gelang, da sie die gedachte Mittellinie auf unterschiedlicher Höhe erreichten (Beeinträchtigung der Propriozeption/ KISS). Dabei kniff Mona ihre Augen fest zu. Außerdem waren ihre Anstrengungen durch Mundbewegungen begleitet.

Diadochokinese

Bei Überprüfung, ob Mona eine Reihe alternierender Bewegungen schnell, präzise und rhythmisch durchführen kann, zeigten sich bei den Fingerbewegungen keine nennenswerten Auffälligkeiten. Beim alternativen Handtest sowie beim Fußtest waren die Bewegungen verlangsamt und lösten deutliche Mitbewegungen anderer Körperteile wie Unterkiefer bzw. Finger, Fuß und Bein der Gegenseite aus. Der Handtest bereitete noch größere Probleme. Die alternierenden Bewegungen der Handflächen wurden verlangsamt, unpräzise und unrhythmisch durchgeführt. Sehr bald befanden sich die Handflächen auf unterschiedlichen Ebenen und der Oberkörper wurde seitlich mitbewegt. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Schulter- oder Ellenbogengelenke blockiert sind, so dass sich keine gut differenzierten Hand- und Fingerbewegungen entwickeln können (Gesetzt der proximodistalen Entwicklung).

Körperschema / Rechts-Links-Diskriminierung/ Orientierung

In allen drei Bereichen bestehen keine nennenswerten Unsicherheiten.

Räumliche Wahrnehmung

Mona konnte keine einzige mit meinem Körper dargestellte Uhrzeit ablesen (nicht einmal 12 Uhr oder halb 12), geschweige denn selbst eine Zeit spiegelverkehrt mit Hilfe ihrer Arme zeigen. Ihr diesbezügliches Unvermögen äußerte sie spontan direkt nach Aufgabenstellung.

2. Reflexe

Der ATNR ließ sich im Schilder Test deutlich auslösen. Der Drehung des Gesichts zu einer Seite folgte der jeweilige gleichseitige Arm etwas gefolgt vom anderen Arm, so dass sich der Abstand zwischen den Armen während der Drehung jeweils vergrößerte. Das Gleichgewicht war beim Schilder Test sichtlich beeinträchtigt. Auffällig war auch, dass die Arme bereits nach kurzer Zeit nach unten absackten (Hinweis auf TLR vorwärts). Bei Überprüfung zum Transformierten Tonischen Nackenreflex (TTNR) wurde das Testergebnis des Schilder Tests bestätigt, denn Mona fand es bequem, jeweils 2 Gliedmaßen in ATNR-Stellung liegen zu lassen.

Auch der STNR besteht noch in deutlicher Ausprägung wie der Standardtest zeigte: Bei Senken des Kopfes beugten sich beide Arme leicht. Beim Heben des Kopfes erfolgte eine leichte Bewegung des Körpers nach hinten und der Rücken formte sich zum Hohlkreuz.

Wider Erwarten konnte der Spinale Galantreflex weder im Vierfüßlerstand noch im aufrechten Stand ausgelöst werden. Aufgrund der Vorgeschichte des Mädchens mit bis heute anhaltenden Problemen der Blasenkontrolle besteht dennoch weiterhin der Verdacht, dass dieser Reflex nicht zum physiologischen Zeitpunkt, nämlich im Alter von 3 bis 9 Monaten nach der Geburt, gehemmt worden ist oder eine Blockierung im Bereich der Lendenwirbelsäule besteht.

Der Abdominal Reflex konnte nicht getestet werden, weil Mona extrem kitzelig ist.

Bei Testung der Amphibien Reaktion blieb bei Anheben der rechten Hüfte in Bauchlage das gleichseitige Bein gestreckt. Dieses Ergebnis ist allerdings unter Vorbehalt zu werten, da Mona extrem kitzelig ist.

Der segmentäre Rollreflex hat sich nahezu optimal herausgebildet. Lediglich bei Anheben der linken Schulter setzte sich die Tendenz zum Beugen des ipsilateralen Beines nicht fort.

Der Tonischer Labyrinth Reflex (TLR) ließ sich im Aufrecht-Test sowohl bei Vorwärts- als auch bei Rückwärtsbewegung des Kopfes auslösen. Die Reaktion auf diese vestibuläre Stimulation war ein deutliches Schwanken und kompensatorische Ausgleichsbewegungen der Knie zum Erhalt des Gleichgewichts. Im TLR-Standard Test waren die Auswirkungen nicht so offensichtlich, aber Mona äußerte spontan: "Meine Füße rutschen""

Bei Überprüfung des Moro-Reflex bzw. des FLR verhinderte Lilly den Fall durch einen Schritt nach hinten. Sie zeigte deutliche Abneigung gegen die Testprozedur und äußerte, sie habe Angst.

3. Augenmuskelfunktionen

In den Tests zur Augenmuskelmotorik zeigten sich leichte Probleme (einige Sprünge) in den vertikalen Augefolgebewegungen, die mit dem Persistieren des STNR in Zusammenhang gebracht werden können. Wesentlich deutlicher waren die Auswirkungen durch die Restreaktionen des ATNR: Als Mona den Stift selbst in der Hand hielt, die dann von mir über die Körpermittellinie, also horizontal, geführt wurde, gelang es ihr kaum noch, ihn mit den Augen zu verfolgen. Ein Zeichen von neurophysiologischer Unreife war dabei außerdem die Auge-Kopf-Handgebundenheit, denn Mona drehte ihren Kopf immer mit zu der Seite, zu der ihre Augen blickten.

Die Pupillenreaktion auf Licht war ohne Befund. Allerdings zeigte Mona trotz eingehender Erklärung Angst davor, dass ihre Augen durch den Lichteinfall der Taschenlampe geschädigt werden könnten (visueller Moro).

4. Visuelle Wahrnehmungsfunktion

Bei Überprüfung der Stimulus-Gebundenheit zeigte sich deutlich die visuelle Ablenkbarkeit der Schülerin. Erhebliche Schwierigkeiten traten außerdem in Bezug auf ihre visuelle Unterscheidungsfähigkeit, Auge-Handkoordination und räum-liche Wahrnehmung auf (Tansley Standard visual Figures Test, Daniel und Diack Standard Figures Test, Bender Gestalt Figures Test).

Beim Stiftgriff fiel auf, dass Mona ihren Zeigefinger auf ihrem Daumen ablegte, was zur Kompensation gegenüber ungewollter Fingerbewegungen dienen könnte.

Ihre schlechte Schreibhaltung deutet auf die Präsenz des STNR hin: Zunächst saß Mona im Rundrücken am Tisch, wenig später berührte ihre Nase fast das Schreibblatt. Ihre Füße kreuzten sie unter dem Stuhl. Begleitet wurden ihre Schreib- und Malaktionen zeitweise von Mundbewegungen.

Der Mann-Zeichentest ergab für das inzwischen 10,8 Jahre alte Mädchen ein Entwicklungsalter von 9 Jahren, also einen mentalen Entwicklungsrückstand von 1,8 Jahren.

Bezüglich der Körperhaltung des Mädchens lassen folgende Gegebenheiten auf Blockaden in verschiedenen Abschnitten der Wirbelsäule schließen:

  • Die Kopfhaltung ist bei Neigung nicht mittig (mehr nach links)
  • ihre Schulterhöhen sind unterschiedlich (rechts höher)
  • Monas Bauchnabel ist schräg gezogen (nach rechts)
  • die Armabstände zum Rumpf sind unterschiedlich (links mehr Abstand)
  • ihre rechte Hüfte ist stärker ausgeprägt (daher geringerer Armabstand)
  • der rechte Arm erscheint länger als der linke Arm
  • das rechte Schulterblatt ist tiefer und stärker ausgeprägt als das linke
  • in entspannter Rückenlage fallen die Füße unterschiedlich weit nach außen (der linke Fuß fällt weiter nach außen als der rechte) )


IV. ZUSAMMENFASSUNG ALLER ERGEBNISSE



Im April 2013 habe ich bei der 10- jährigen Mona eine mehrstündige diagnostische Überprüfung ihrer neurophysiologischen Entwicklung vorgenommen, um festzustellen, ob bei ihr eine neurophysiologische Ausreifungsverzögerung vorliegen könnte, die folgende Probleme mit aufrecht erhält:

  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Überreaktionen/ mangelnde Impulskontrolle
  • motorische Unruhe/ Konzentrationsstörung/ erhöhte Ablenkbarkeit (wurde im Alter von 6 Jahren als ADHS diagnostiziert)
  • Panik- und Angstzustände/ Schreckhaftigkeit
  • übersteigertes Sicherheitsbedürfnis
  • Vermeidung von Körperkontakt/ taktile Hypersensibilität
  • Verzögerung der Blasenkontrolle/ häufige Harnwegsinfektionen
  • Pseudokruppanfälle einmal pro Jahr
  • Unfähigkeit analoge Uhrzeiten abzulesen
  • Schwierigkeiten mit dem Zeitempfinden (Wochentage, Monate)
  • Probleme bei der Erfassung von Mengen
  • nur noch selten Verdrehen von Zahlen oder Buchstaben


Mona besuchte zum Zeitpunkt der Diagnostik die 5. Klasse einer Realschule.

Die Anamnese ergab einige Risikofaktoren während der Schwangerschaft und perinatal, die mit Ausreifungsstörungen des Zentralen Nervensystems in Zusammenhang stehen können:

  • Stress während der Schwangerschaft wegen Verhaltensauffälligkeiten des 3 Jahre älteren Geschwisterkind (Asperger) / Umzug
  • sehr kurzer Geburtsprozess (etwa 3 Stunden) (KISS?)
  • Trennung von der Mutter unmittelbar nach der Geburt (für 1 1/2 Std.) (allerdings war Lilly in der Zeit beim Vater)


In den Tests zur Beurteilung der grobmotorischen Koordination und des Gleich-gewichts zeigten sich bei einer Aufgabe deutliche Gleichgewichtsprobleme im Stand (Mann Test mit geschlossenen Augen). Auch bei der Überprüfung einiger Gang-muster (Zehenspitzengang, Fog walk, Slalom Gang) wurden leichte Unsicherheiten offensichtlich, die sich bei rückwärtiger Bewegung infolge fehlender visueller Kontrollmöglichkeit verstärkten. Dem entsprechend nahm das Maß an Ausgleichsbewegungen durch andere Körperteile ((rme, Oberkörper))zur Wahrung des Gleichgewichts zu. Gravierende Beeinträchtigungen bestanden beim Fersengang sowie bei Gangarten, die ein alternierendes Bewegungsmuster erfordern ( Marschieren und Umdrehen, Hopserlauf). Sie wurden von Mona homolateral ausgeführt.

Diese Beobachtung bestätigte sich bei Überprüfung der motorischen Entwicklung beim Krabbeltest. Das Kriechen auf dem Bauch erfolgte im homologen Muster mit Armbeteiligung, wobei die Zehen die Bewegung durch Abdrücken unterstützten (erinnert an Schreitreflex und Symmetrisch tonischen Nackenreflex nach der Geburt). Bei Erhöhung des Tempos wurde das rechte Bein andeutungsweise mit benutzt. Die Funktionsfähigkeit des Kleinhirns zeigte bei Durchführung eines von 3 Untertests (Zeigefinger-Annäherung) erhebliche Beeinträchtigungen. Auffällig war nicht nur der Tonusverlust beider Arme innerhalb kürzester Zeit (möglicher Hinweis auf TLR vorwärts), sondern auch, dass es Mona selbst mit geöffneten Augen nur unter sichtbarer Anstrengung (Anspannung im Mundbereich) gelang, beide Zeigefinger auf einer Höhe zusammen zu führen. Die Durchführung ohne visuelle Kontrolle war gar nicht möglich (Verdacht auf Blockade in den Schulter- bzw. Ellenbogengelenken).

Auch die Tests zur Diadochokinese liefen mit deutlichen Schwierigkeiten ab. So waren die erforderlichen Bewegungsabläufe der Hände bzw. Füße deutlich verlangsamt, teils unpräzise und/ oder unrhythmisch (Verdacht auf Blockaden im Schulter- bzw. Ellenbogenbereich) sowie teilweise auch von Mitbewegungen anderer Körperteile begleitet.

Mit der Aufgabe zur Überprüfung der räumlichen Wahrnehmungsfähigkeit, bei dem Mona mit Hilfe ihrer Arme eine vorgegebene für mich ablesbare Uhrzeit darstellen sollte, war sie völlig überfordert.

Bei den Tests zur Überprüfung fortbestehender frühkindlicher Reflexaktivität ließen sich mehrere Reflexe in unterschiedlicher Intensität auslösen und weisen durch ihren Fortbestand auf eine Ausreifungsstörung des Zentralen Nervensystems hin:

Furcht-Lähmungsreflex/ Moro-Reflex Restreaktionen können Auswirkungen auf das gesamte emotionale Profil eines Kindes haben, z.B. emotionale Überreaktionen wie Wutausbrüche oder übersteigerte Angst- und Panikzustände, wie sie sich bei Mona häufig zeigen. Wird der Organismus des Kindes immer wieder in Alarmbereitschaft versetzt, was eine vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen auslöst, kann das auf Dauer zu einer Schwächung des Immunsystems führen, möglicherweise bei Mona in Form von häufigen Harnwegsinfekten und gelegentlichen Pseudokruppanfällen.

Asymmetrisch tonischer Nackenreflex (ATNR) Er wird u.a. als beteiligt gesehen bei Problemen bezüglich des Gleichgewichts, in der Auge-Hand-Koordination (Feinmotorik/ Schrift) und der Augenmuskelmotorik (fließende Augenfolgebewegungen, wie sie beispielsweise für das Lesen und Abschreiben erforderlich sind). Beeinträchtigungen der bilateralen Integration erschweren das Überkreuzen der Körpermittellinie und damit fließende Kreuzmuster in Bewegungsabläufen wie z.B. beim Kriechen, Krabbeln und Gehen.

Tonischer Labyrinthreflex (TLR) Der bei Mona noch aktive TLR wird mitverantwortlich für ihre Gleichgewichts-probleme sein, die Probleme der Tonusregulation beim Ballspielen sowie für die bei der Steuerung der Augenbewegungen beim Lesen, Schreiben und Abschreiben. Eine weitere mögliche Auswirkung ist Monas mangelhaft ausgebildeter Richtungssinn, der sie Buchstaben und Zahlen verdrehen bzw. vertauschen ließ und ihr bis heute das Ablesen einer analogen Uhr unmöglich macht. Der fehlende innere Fixpunkt, verhin-dert die Entwicklung eines sicheren Zeitempfindens. Die mangelnde Sicherheit im Umgang mit der Schwerkraft kann eine Ursache für Monas generelle Unsicherheit sein. Symmetrisch tonischer Nackenreflex (STNR) Seine Prävalenz kann eine aufrechte Sitzposition sowie die vertikalen Augenfolge-bewegungen beeinträchtigen. Er kann auch in Zusammenhang mit Monas Problemen bei der Auge-Hand-Koordination und der Anstrengung beim Abschreiben von der Tafel angesehen werden (Beeinträchtigung der Akkomodationsgeschwindigkeit).

Frühkindliche Reflexe sollten sich innerhalb des ersten Lebensjahres voll entwickelt haben und allmählich gehemmt worden sein, damit sie von reiferen Reflexen, den Halte- und Stellreaktionen, abgelöst werden können. Deren Entwicklung ist ein sicheres Zeichen für die Ausreifung des Zentralen Nervensystems und für eine gute Zusammenarbeit des Vestibularapparates und des visuellen Systems. Bei Mona sind die Augen- und Labyrinthkopfstellreaktionen allerdings noch nicht altersgemäß ent-wickelt, sondern auffällig, nach rechts auffälliger als nach links und bei Vorwärts-bewegungen ihres Körpers auffälliger als bei Rückwärtsbewegungen (Verdacht auf Blockade der HWS!). In keiner der veränderten Rumpfpositionen gelang es ihr, ihren Kopf zu vertikalisieren. Leichte Abweichungen von einer physiologischen Entwicklung zeigten sich außerdem beim Amphibienreflex in Bauchlage, beim Segmentären Rollreflex sowie bei der Landau-Reaktion.

In den Tests zur Augenmuskelmotorik fielen leichte Probleme bei vertikalen Augefolgebewegungen auf (STNR). Die Anzahl der ungewollten Augensprünge nahm ganz erheblich zu, als Mona selbst einen Stift in der Hand hielt deren Spitze sie fixieren und verfolgen sollte, während ich ihre Hand hin und her, also horizontal, führte (ATNR).

Bei der Überprüfung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf visuelle Unterscheidungsfähigkeit, Auge-Hand-Koordination und räumliche Wahrnehmung (Tansley Standard visual Figures Test, Daniel und Diack Standard Figures Test, Bender Gestalt Figures Test) zeigten sich ebenfalls deutliche Schwierigkeiten.

Wegen der deutlichen Anzeichen von Blockaden der Wirbelsäule und den zusätzlichen Hinweisen aus der Anamnese (kurzer Geburtsverlauf/ anhaltende Probleme mit der Blasenkontrolle) wird Monas Mutter ihre Tochter einem Osteopathen bzw. Manualtherapeuten vorstellen. Denn erst, wenn die Blockaden der Wirbelsäule gelöst sind, ist eine Kopf- und Haltungskontrolle möglich, womit sich Mona ab dann auch Schallquellen exakt zuwenden kann. Möglicherweise haben die Manipulationen an der Wirbelsäule zusätzlich positiven Einfluss auf die Blasenkontrolle des Mädchens.

ERLÄUTERUNGEN DER REFLEXE



Furcht-Lähmungsreflex (FLR) bzw. Fear-Paralysis-Reflex (FPR)



Der Furcht-Lähmungsreflex ist ein Rückzugsreflex und gehört zu den uterinen Reflexen. Denn bereits fünf Wochen nach der Befruchtung, wenn die Entwicklung des Tastsinns beginnt, zeigt der Embryo erstmals Reaktionen auf äußere Reize. Eine sanfte Berührung der Oberlippe löst eine unmittelbare Rückzugsbewegung des ganzen Körpers von der Kontaktquelle aus. Zu diesem Zeitpunkt handelt es sich aber noch nicht um eine bewusste Berührungswahrnehmung. Denn diese anfänglichen Reaktionen finden auf der untersten Ebene, nämlich im Rückenmark und einige Zeit später im Hirnstamm statt. Innerhalb der folgenden vier Wochen breitet sich die sensible Zone zunächst auf den gesamten oralen Bereich, dann über die Handflächen und die Fußsohlen aus, bis schließlich die gesamte Körperoberfläche mit Berührungsrezeptoren bedeckt ist. Die früheste primitive Erfahrung von Berührung wird also mit einem Rückzug beantwortet. Vermutlich handelt es sich hierbei um einen Schutzmechanismus, der den Embryo vor einem Verfangen in der Nabelschnur bewahrt.

Der FLR zeigt sich nicht nur in einem Zurückweichen vom Stimulus, sondern auch in einer Verlangsamung des Stoffwechsels. Er ist eine extreme Schockreaktion und bewirkt nach dem Zurückziehen Bewegungsunfähigkeit, Tonusverlust, Verlangsa-mung der Herzfrequenz, Absinken des Blutdrucks, Atemstillstand und extreme Angst. Während sich allmählich das taktile Bewusstsein entwickelt, lassen die Rückzugsreflexe langsam nach und werden im zweiten und letzten Schwanger-schaftsdrittel allmählich von reiferen Reflexen, nämlich den Greifreflexen abgelöst, die durch Hinwendung zum taktilen Stimulus charakterisiert sind (Palmar- und Plantarreflex, Such- und Saugreflex, Moro-Reflex (und nachgeburtlich Strauss-reflex)).

Moro-Reflex


In der 9. - 12. Schwangerschaftswoche taucht der Moro-Reflex als erster frühkindlicher Reflex auf. Er ist ein Greifreflex und wird auch als Umklammerungsreflex bezeichnet. Während der gesamten Schwangerschaft entwickelt er sich kontinuierlich weiter. Er ist der einzige der primitiven Reflexe, der mit allen Sinnessystemen verbunden ist. Durch plötzliche, unerwartete Reize jeglicher Art kann er ausgelöst werden, d.h. durch vestibuläre, visuelle, auditive oder taktile Reize. Er ist unbedingt notwendig für das Überleben des Neugeborenen, denn er bereitet das Nervensystem auf lebensbedrohliche Situationen vor. Der Hirnstamm löst den Moro-Reflex als eine Art Notschalter für Kampf- und Fluchtreaktionen aus. Daraufhin reagiert das Kind mit einer Reihe schneller aufeinander folgender Bewegungen.

Der Moro-Reflex entwickelt sich in zwei Phasen: Zwischen der 9. und 12. Schwangerschaftswoche bildet sich zunächst die erste Phase heraus: Sie besteht aus einer symmetrischen Abduktion der Arme und Beine (gleichzeitige Auswärts-bewegung von Armen und Beinen), die Hände öffnen sich und die Finger werden gespreizt, wobei der Kopf nach hinten in den Nacken gestreckt wird. Es folgt ein kurzes Erstarren, der Mund öffnet sich bei gleichzeitiger Einatmung ( = Rückzugs-reaktion). Unmittelbar nach der Geburt ermöglicht er den ersten Atemzug. Erst die zweite Phase des Moro-Reflexes bewirkt eine Überwindung dieser Rückzugs-reaktion.

Um die 32. Schwangerschaftswoche entwickelt sich die zweite Phase des Moro-Reflexes: Durch Adduktion (gleichzeitiges Schließen))der Arme und Beine, Beugung im Ellenbogengelenk, Faustschluss, Anbeugen des Kopfes und nach der Geburt gepaart mit Ausatmen ( evtl. als Schrei) wird die Rückzugsreaktion aus der ersten Phase überwunden. Charakteristisch für die zweite Phase ist also im Gegensatz zur ersten Phase eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems, wodurch eine sofortige Erregung bewirkt wird: Ansteigen der Herzfrequenz, eine unmittelbare Erhöhung des Blutdrucks, schnelles flaches Atmen, Rötung des Gesichts, begleitet von Wut oder Verzweiflung. Zu diesem Zeitpunkt im 8. Schwangerschaftsmonat löst z.B. die plötzliche Erschütterung, wenn die Mutter aufsteht oder sich im Bett herumdreht, beim Fötus den Moro-Reflex aus. Es wird vermutet, dass der Moro-Reflex in der Zeit im Mutterleib auch einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung des kindlichen Atemmechanismus hat.

Mit 2 - 4 Monaten sollte der Moro-Reflex in seiner Grobform gehemmt werden. Dann wird er im späteren Leben nur noch in Situationen extremer Gefahr ausgelöst. Ansonsten wird die zuvor unwillkürliche Reaktion auf Bedrohung in eine erwachsene Schreckreaktion, den reifen Schreckreflex, umgewandelt: Dabei spannt das Kind die Muskeln an, die Schultern werden dabei schnell hochgezogen, blinzelt, sucht die Gefahrenquelle und trifft dann eine korrekte (bewusste) Entscheidung, wie es reagieren soll, z.B. - je nach Alter- schreiend Hilfe anzufordern/ wegzukrabbeln bzw. wegzulaufen oder weiterzuspielen. Denn das Baby ist zunehmend gut in der Lage zu analysieren, ob von außen kommende Sinneseindrücke wirklich eine Bedrohung darstellen oder nicht.

Tonischer Labyrinth Reflex - TLR


In der 12. Woche entsteht im Mutterleib der Tonische Labyrinth Reflex vorwärts: Wird der Kopf des Fötus/ des Babys über die Mittellinie nach vorne (oben) gebracht, geht der Körper in eine fötale Beugestellung.

Erst bei der Geburt entsteht der Tonische Labyrinthreflex rückwärts: Wird der Kopf des Babys unter die Mittellage nach unten (hinten) gebracht, kommt es zu einer deutlichen Streckung der Arme und Beine. Der Tonische Labyrinthreflex hat Einfluss auf den Muskeltonus des gesamten Körpers und sollte zum Zeitpunkt der Geburt in beide Richtungen voll entwickelt sein. Beide Reflexe gehören in den Bereich des Gleichgewichts.

Mit etwa 6 Wochen nach der Geburt beginnt die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes rückwärts. Schrittweise kann sich dieser Prozess bis zum 3. Lebensjahr hinziehen. Diese Hemmung ist die Voraussetzung für die erste Stufe der Bewegungsentwicklung außerhalb des Mutterleibes, nämlich die Beherrschung der Kopfkontrolle, d.h. willkürlicher Kopfbewegungen, die unabhängig von Bewegungen des Rumpfes ablaufen.

Mit etwa 4 Monaten sollte die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes vorwärts vollzogen sein. Seit der Geburt stellte der Tonische Labyrinthreflex eine erste primitive Methode für das Baby dar, mit den Problemen der Schwerkraft umzugehen, während die Auswirkungen der Schwerkraft im Fruchtwasser nur gedämpft zu spüren waren. In der neuen Umgebung dagegen führte vor Hemmung des TLR jede Bewegung des Kopfes in vertikaler Richtung über die Mittellinie hinaus zu einer extremen Beugung oder Streckung des ganzen Körpers. Dies beeinflusste den Muskeltonus im ganzen Körper vom Kopf abwärts.

Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex - ATNR


Zwischen der 16. und 18. Schwangerschaftswoche, also in der Zeit, in der die Mutter ihr Kind erstmals spürt, entsteht der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex. Er wird durch die Nackenrezeptoren beim Drehen des Kopfes zu einer Seite ausgelöst. Reflexhaft strecken sich gleichzeitig die Gliedmaßen auf dieser Seite, während sich die okzipitalen (auf der Hinterhauptsseite befindlichen) Gliedmaßen beugen. Dieser Reflex ermöglicht dem Fötus Bewegungen, die den Muskeltonus entwickeln, z. B. für spätere Greif- und Streckbewegungen.

Zum Zeitpunkt der Geburt sollte der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex vollständig entwickelt sein, denn er ist für die aktive Mitarbeit des Babys im zweiten Stadium der Wehen erforderlich. Im Rhythmus der Wehen, die den ATNR durch den Massageeffekt weiter aktivieren und verstärken, sollte das Baby mithelfen, sich durch den Geburtskanal nach unten vorzuarbeiten.

Im Alter von 4 - 6 Monaten wird der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex allmählich gehemmt. Das sich entwickelnde Gehirn hat diesen Reflex dann unter Kontrolle. Seit seiner Entstehung in der 16. bis 18. Schwangerschaftswoche hat er nicht nur prä- und perinatal, sondern auch postnatal wichtige Aufgaben erfüllt: Gemeinsam mit einem ebenfalls fest etablierten und aktiven Moro-Reflex, der bei Atemproblemen des Neugeborenen einen sofortigen Aktivierungsmechanismus bereitstellt, ist auch der ATNR daran beteiligt, den plötzlichen Kindstod zu verhindern. Denn er stellt sicher, dass das Baby in Bauchlage den Kopf zur Seite drehen kann und so der Atemweg freigegeben wird. Außerdem spielt der ATNR eine wichtige Rolle, bei der Entwicklung des Gleichgewichts und koordinierter Bewegungsabläufe, der Entwicklung der Seitigkeit und hierbei speziell der vollständigen Ausbildung einer Ohrpräferenz, was wiederum wesentlich für den Erwerb der Lautsprache ist. Der ATNR beginnt das Training der Augen, indem er die Sehweite des Kindes von etwa 17 Zentimeter bei der Geburt auf Armeslänge ausdehnt. Er ist auch genau zu dem Zeitpunkt anwesend, wenn sich die visuelle Fixierung naher Gegenstände entwickelt. Greift das Baby mit dem ausgestreckten Arm nach dem anvisierten Gegenstand, so werden die Grundlagen für die Entfernungswahrnehmung (in Armeslänge) und die Auge-Hand-Koordination gelegt. Hat der ATNR seine Aufgaben erfüllt, so wird er in den Amphibienreflex und den Segmentären Rollreflex integriert.

Symmetrisch Tonischer Nackenreflex - STNR


Unmittelbar nach der Geburt ist erstmals aber nur kurzzeitig der Symmetrisch Tonische Nackenreflex präsent. Bei sehr wachen vaginal geborenen Neugeborenen, die nicht durch Schmerzmittel ihrer Mutter beeinträchtigt sind, ist zu beobachten, wie sie zur Brust “kriechen”: Sie nutzen dabei eine Kombination des Schreitreflexes (mit den Füßen stoßen) )nd des STNR ( (nbeugen der Beine, um den Körper vorwärts zu stoßen))

Zwischen dem 8. und 11. Monat tritt der Symmetrisch Tonische Nackenreflex zum zweiten Mal in der Entwicklung des Babys in Erscheinung. Diesmal fungiert er als so genannter “Brückenreflex”, denn er schafft durch eine etwas weiterentwickelte Variante des Tonischen Labyrinth Reflexes eine Brücke auf dem Weg zur nächsten Stufe der Fortbewegung, dem Krabbeln auf Händen und Knien, und zu lebenslang bestehenden Halte- und Stellreaktionen sowie zur willkürlich gesteuerten Bewegung. Er ermöglicht dem Kind eine Vierfüßlerhaltung einzunehmen, eine Vorwärtsbewe-gung ist allerdings noch nicht möglich.

Denn in dieser Entwicklungsphase bestimmt die Haltung des Kopfes die Haltung der Gliedmaßen. Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex bewirkt eine automatische Bewegung, bei der die obere Körperhälfte dazu veranlasst wird, eine Gegenbewegung zur unteren Körperhälfte auszuführen. Auslöser für diesen Reflex ist die Veränderung der Nackenposition: In der Vierfüßlerposition bewirkt das Beugen des Kopfes eine Beugung der Arme sowie eine Streckung der Beine und das Heben des Kopfes eine Beugung der Beine und eine Streckung der Arme. Bei dieser Reaktion arbeiten die rechte und die linke Körperseite symmetrisch zusammen. Der STNR dient auch der Weiterentwicklung des Sehens, denn er trainiert die Akkommodation: Werden die Beine nach Anheben des Kopfes gebeugt und die Arme gestreckt, wird in Entfernung und Weite gesehen. Werden die Arme infolge einer Kopfsenkung gebeugt, so wird das Kind Objekte in der Nähe fixieren. So gewöhnen sich die Augen daran, einen Wechsel von Nah- und Weitsehen einzustellen.

Während der Tonische Labyrinthreflex den Muskeltonus im gesamten Körper beeinflusst, teilt der Symmetrisch Tonische Nackenreflex den Körper an der hori-zontttalen Mittellinie in zwei Hälften. Durch diese “Unterbrechung” in der Becken-region, wird es dem Kind möglich, die Schwerkraft zu überwinden, den Vierfüßlerstand einzunehmen und beide Körperhälften unabhängig voneinander zu benutzen. Im Normalfall folgt darauf eine Phase, in der die Babys auf den Händen und Knien vor und zurück schaukeln. Hierdurch wird der STNR allmählich gehemmt.

Spinaler Galant Reflex


Um die 20. Schwangerschaftswoche entsteht der Spinale Galantreflex: Eine Stimulation des Rückens seitlich der Wirbelsäule führt zu einer Hüftbeugung um 45 Grad und damit zu einer Rotation in Richtung der Stimulation. Dieser Reflex sollte auf beiden Körperhälften in gleicher Intensität vorhanden sein. Er ist bei der Geburt genau wie der ATNR aktiv vorhanden und hilft dem Kind, sich durch den Geburtskanal zu winden. Das Zusammenziehen der Muskeln in der Scheidenwand

stimuliert den Lendenwirbelbereich des Kindes und löst gleichzeitig kleine einseitige Rotationsbewegungen der Hüfte aus. Eine gleichzeitige Stimulation an beiden Seiten löst Urinfluss aus.

Vom 3. bis 9. Monat etwa wird der Spinale Galantreflex gehemmt. Dies ermöglicht eine gerade Körperhaltung, das Stillsitzen, flüssige Bewegungsabläufe und eine gute allgemeine Beweglichkeit beim Sport oder anderen körperlichen Aktivitäten. Auch auf die Blasenkontrolle und die Verdauung wirkt sich die Hemmung positiv aus.

Reflex/ Plantar Reflex


In der 11. Schwangerschaftswoche entstehen der Palmar Reflex (Handgreifreflex) und der Plantar Reflex (Fußgreifreflex)) Der Palmar Reflex wird durch eine leichte Berührung oder Druck auf die Handinnenflächen ausgelöst. Dabei werden die Finger auf der betreffenden Seite eingerollt und die Faust geschlossen. Solange der Reiz besteht, wird diese Handstellung beibehalten. Nach der Geburt kann der Säugling sogar an den Händen hochgezogen werden, die Ellenbogen bleiben dabei leicht gebeugt. Der Plantar Reflex lässt sich durch Berührung des mittleren Fußballens auslösen. Dies führt zu Einklammern der Zehen. Beim Lösen der Reaktion spreizen sich die Zehen.

Die beiden Klammerreflexe, Palmar- und Plantarreflex, sind bei der Geburt vollständig vorhanden. Sie werden als Rest einer früheren Stufe der menschlichen Evolution angesehen, als es für das Neugeborene noch notwendig war, sich zu seiner Sicherheit an der Mutter festzuklammern. Beim Stillen kann in den ersten Lebensmonaten ein Zusammenhang zwischen dem Palmar-Reflex und dem Saugen beobachtet werden: Beim Saugen macht das Neugeborene knetende Bewegungen mit seinen Händen (sog. Babkin-Reaktion).

Im 4. - 6. Lebensmonat ist der Palmar Reflex integriert, so dass der Säugling einen Gegenstand loslassen bzw. mit dem Pinzettengriff zwischen Daumen und Zeigefinger halten kann. Diese Entwicklungsschritte sind die Voraussetzung für spätere manuelle Geschicklichkeit des Kindes und die Fähigkeit sich mit offenen Händen abstützen zu können, was wiederum für Gleichgewichtsreaktionen wichtig ist. Da der Palmar Reflex, wie bereits erwähnt, auch in enger Verbindung mit den Saugbewegungen des Säuglings steht, ergeben sich nicht nur Auswirkungen auf spätere feinmotorische Fähigkeiten, sondern auch auf Sprache und Artikulation.

Zwischen dem 8. und 12. Lebensmonat wird der Plantar Reflex integriert (also etwa 4 - 6 Monate später als der Palmar-Reflex). Erst dadurch wird es dem Kind im Alter von etwa 11 - 12 Monaten ermöglicht, mit flachem Fuß zu stehen und den Fuß abzurollen.

Such- und Saugreflex


Beide Reflexe gehören, ebenso wie der Schluckreflex, zu den Greifreflexen und entstehen zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche. Durch leichte Berührung der Wange oder des Mundwinkels wird beim Neugeborenen der Suchreflex ausgelöst, der bei der Geburt ebenso wie der Saug - und Schluckreflex vollständig vorhanden ist. In den ersten Stunden nach der Geburt ist der Suchreflex am stärksten ausgeprägt und sollte unbedingt Befriedigung erfahren, da er sich sonst abschwächt und die Entwicklung darauf aufbauender Fähigkeiten, wie z.B. das Artikulieren, störend beeinflussen kann. Bei Auslösung des Suchreflexes dreht das Neugeborene seinen Kopf in die stimulierte Richtung, zur Brustwarze der Mutter, öffnet den Mund und streckt die Zunge als Vorbereitung des Saugens heraus. Da dieser Reflex an allen Bereichen des Mundes ausgelöst werden kann, wird er auch als Kardinalpunkt-Reflex bezeichnet. Die Kombination von Such- und Saugreflex stellt sicher, dass das Baby sich der Nahrungsquelle zuwendet und seinen Mund weit genug öffnet, damit es ihn um die Brust oder die Faschenöffnung schließen kann. Die anschließenden Saug- und Schluckbewegungen sind grundlegend für das früheste Stadium des Fütterns und üben einen fördernden Einfluss auf seine spätere manuelle Geschicklichkeit. Denn in den ersten Lebensmonaten besteht eine enge Verbindung zwischen dem Palmarreflex und dem Stillen (“Babkin-Reaktion“). Außerdem sind die Muskelbewegungen beim Trinken eine ganz wichtige Vorbereitung für die ersten Laute und die Entwicklung des Sprechens.

Bei Befriedigung wird der Suchreflex 3 bis 4 Monate nach der Geburt durch einen konditionierten Reflex abgelöst, nämlich durch die aktive Kopfdrehung des Säuglings zur Brust.

Amphibienreflex



Der Amphibienreflex entwickelt sich zuerst in der Bauchlage, etwas später auch in der Rückenlage zwischen dem 4. und 6. Lebensmonat Dabei löst das Anheben des Beckens die automatische Beugung des Arms, der Hüfte und des Knies auf derselben Körperhälfte aus. Der Amphibienreflex ist ein deutliches Zeichen für die Hemmung der ATNR. Ab jetzt können Arme und Beine unabhängig voneinander bewegt werden., wodurch das Baby mehr Bewegungsfreiheit erlangt. Erst durch diese Fähigkeit ist es später in der Lage zu kriechen und zu krabbeln.



Quellenverzeichnis Beigel, Dorothea: “Flügel und Wurzeln. Persistierende Restreaktionen frühkindlicher Reflexe und ihre Auswirkungen auf Lernen und Verhalten”, Verlag modernes lernen, Dortmund, 2011 Deutsche Gesellschaft neurophysiologischer Entwicklungsförderer e.V. INPP Deutschland, Hansen-Lauff, Thake: “Neurophysiologische Entwicklungsförderung NDT/INPPâ, 2008 Goddard Blythe, Sally: “Greifen und BeGreifen. Wie Lernen und Verhalten mit frühkindlichen Reflexen zusammenhängen”, VAK Verlag, Freiburg, 2009 Goddard Blythe, Sally: "Neuromotorische Schulreife - Testen und Fördern mit der INPP-Methode", Verlag Hans Huber, Bern 2013 Goddard Blythe, Sally: Screening-Test für Ärzte "Zeichen neuromotorischer Unreife bei Kindern und Erwachsenen", Druckerei Hergeröder, Schönberg 2012 Hansen-Lauff, Thake: "Musterbericht über die diagnostische Beurteilung der neurophysiologischen Entwicklung", Laboe 2004 Langen, Gabriele: I. Facharbeit "Die neurophysiologische Entwicklung eines Kindes von der Zeugung bis zur Einschulung", Korschenbroich 2013 Sacher, Robby: "Handbuch KISS KIDD`s, Verlag modernes lernen, Dortmund 2007 Zinke-Wolter, Petra: "Spüren - Bewegen - Lernen", borgmann puplishing, Dortmund, 2005